Manche berichten, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) werde die rechtsextremistische NPD voraussichtlich verbieten. Ich hege noch Zweifel.

Dezember 2015: Der Zweite Senat des BVerfG entschied, dass der Verbotsantrag des Bundesrats zulässig und hinreichend begründet ist. Dieses in § 45 Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelte Vorverfahren dient dem Schutz der betroffenen Partei. Diese soll nur dann an den Pranger der öffentlichen Verhandlung gestellt werden, wenn ein Verbot wahrscheinlich ist. Man spricht vom sogenannten „Parteienprivileg“, abgesichert in Artikel 21 unseres Grundgesetzes (GG).

Die NPD, die sich vor der Verhandlung nicht zur Sache geäußert hatte, muss jetzt versuchen, die Richter umzustimmen. Das ist ihr bis dato nicht gelungen. Weder der Senat als Ganzes noch einzelne Richter lassen einen Sinneswandel erkennen.

Im Gegensatz zum ersten Verbotsverfahren 2003 konnte die Partei kein NPD-Vorstandsmitglied als V-Mann enttarnen. Es gab keine Hinweise, dass der Staat ihre Verteidigungsstrategie ausspäht. Und sie konnte auch die Behauptung des Bundesrats nicht widerlegen, dass keine im Verbotsantrag zitierte NPD-Äußerung von einem V-Mann stammt. Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle gab am zweiten Verhandlungstag bekannt, dass „nach vorläufiger Einschätzung“ kein Verfahrenshindernis vorliegt. 2003 hatte das BVerfG das damalige Verfahren aus reinen Verfahrensgründen eingestellt, weil V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei tätig waren. Die Frage, ob es sich bei der NPD um eine verfassungswidrige Partei handelt, wurde dazumal nicht geprüft.

Um was geht es?

Der Maßstab für ein Parteiverbot ist der Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens. Für ein Parteiverbot muss von der NPD eine Gefahr für unsere Demokratie – freiheitlich demokratische Grundordnung – ausgehen. Die Frage lautet: Genügt eine abstrakte Gefahr oder bedarf es einer konkreten Gefahr? Man kann mutmaßen, der Verbotsantrag wäre von vornherein chancenlos gewesen, hätte das BVerfG als Voraussetzung für ein Verbot eine konkrete Gefahr verlangt.

1952 wurde die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei verboten, die sich in der Nachfolge der NSDAP sah. 1956 folgte das Verbot der kommunistischen KPD. In beiden Fällen ließ das Gericht eine abstrakte Gefahr für ein Verbot ausreichen. Man argumentierte: eine antidemokratische Partei könne sogar dann verboten werden, „wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft verwirklichen kann“. Nun, unter den heutigen Richtern war niemand zu hören, der eine konkrete Gefahr verlangte. Der Senatsvorsitzende Voßkuhle deutete aber an: Es sollte bei einem Verbot zumindest nicht völlig ausgeschlossen sein, dass eine Partei ihre Pläne je realisieren kann. Also doch das Erfordernis einer konkreten Gefahr?

Die Gewalt aus der rechten Szene lässt sich nur bedingt der Partei zurechnen. Das im Verbotsantrag beschriebene „Klima der Angst“ kann selbst für Hochburgen der NPD wie Anklam in Vorpommern nicht überzeugend nachgewiesen werden.

Inhaltlich stützte der Bundesrat seinen Verbotsantrag vor allem auf den Vorwurf, die NPD habe eine „homogene Volksgemeinschaft“ als Ziel. Eingebürgerte Deutsche sehe sie als Staatsbürger zweiter Klasse, die kein sicheres Bleiberecht in Deutschland haben. Die Vorstellung, dass biologische Kriterien, wie Abstammung, darüber entscheiden, ob jemand in Deutschland Träger voller Rechte werden kann, verstößt laut Bundesrat gegen die Menschenwürde, die allen Menschen gleich zukommt. Damit wäre auch die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne von Artikel 21 Abs. 2 GG beeinträchtigt. Es gibt viele Belege, dass die NPD rassistisches Gedankengut verfolgt.

Mit einem Urteil ist vermutlich im Sommer des Jahres zu rechnen.

Sollte die NPD am Ende verboten werden, hätte das Verfassungsgericht eine Chance verpasst, das Parteiverbotsverfahren zeitgemäßer auszugestalten. Nach knapp 67 Jahren ist in Deutschland von einer gefestigten Demokratie auszugehen, die künftig eine konkrete Gefahr als Voraussetzung für ein Parteiverbot erfordert. Keine „Demokratie in Rente“!

Das Verbotsverfahren von 2001 – 2003 zeigte die mit diesem verbundene Gefahr auf. Auslöser des damaligen Antrags war das Versagen der Sicherheitsbehörden beim NSU-Terror. Die Idee, die NPD zu verbieten, sollte Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Was bei allem Verbot nicht gelingen wird: Die Partei ist eine Hülle. Das Verbot beseitigt nicht das dahinterstehende Gedankengut. „Vaterländische Vereine“ werden dann wieder Zulauf haben.