Komisches Alter
Wie ist das mit Ende Vierzig? Komisches Alter! Die Alten nerven, die Jungen nerven … vielleicht nerve ich mich selbst?! Midlife-Crises? Blöder Kram! Dafür bin ich zu alt! Ich sagte einmal, dass man mit der Vier vorne dran so richtig schön in Ruhe gelassen wird. Kein erhobener Zeigefinger der Älteren mehr: „Bub, darauf musst Du achten!“, „Junge, schaffst Du das?!“ und dergleichen. Von der Jugend wirst Du wegignoriert. So, als sei man nicht da. Die nächste Stufe ist wohl: „Darf ich Ihnen über die Straße helfen?“. Gibt es das noch? Wann bietet man mir altersbedingt einen Sitzplatz in der U-Bahn an?! Zu alt, um Vorbild zu sein, zu jung für die Weisheit des Alters. In mancherlei Hinsicht spricht man von Orientierungslosigkeit. Leute, noch weiß ich, wohin ich gehe! Ich mag mich beim Schuheanziehen und -schnüren mittlerweile hinsetzen. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug dauert es etwas länger. Ok! Man braucht keinen Sport zu machen, wenn tägliche Verrichtungen zu sportlichen Anstrengungen werden. Als Kurzsichtiger schaue ich beim Zeitungslesen nicht durch, sondern über die Brille. Lesebrille braucht man nicht. Noch nicht! Wie lange noch? Der Zahn der Zeit fordert seinen Tribut. Wenn das Kreuz jetzt schon so schmerzt, wie wird das erst in zwanzig Jahren?! Alles Mist! Das Phänomen Zeit hat sich auch verändert. Es kommt einem vor, als greife man am Strand in den trockenen Sand. Sie, die Zeit, rinnt einem durch die Finger. Man kann sie nicht festhalten. Gefühlt hat man vor einigen Tagen Silvester gefeiert, heute ist Juni. Jemand sagte einmal vor vielen Jahren: „Der Tag hat 24 Stunden. Reichen diese nicht, dann nimm die Nacht dazu!“. Ein weiser Mensch, ein Scherz über den Mangel an Zeit! Aber es gibt noch andere Veränderungen: ich schätze die Ruhe, lege immer mehr Wert auf Kultur und gehe langsam, wenn ich es eilig habe. Ich weiß heute, wie die Asiaten sagen, dass Menschen nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel stolpern. Ramba-Zamba ist nicht mehr, jedenfalls selten, bei Filmen lege ich Wert auf innere Handlung. Ja, und ich glaube, dass jeder Mensch, sofern er bewusst lebt, dieser Gesellschaft etwas zu geben hat. Vielleicht unmerklich, aber es kommt etwas rüber. Alles Gold und Silber dieser Erde kann den Wert guter Bücher nicht aufwiegen, Wissen ist wichtiger als Reichtum und Besitz. In den Tag hineinzuträumen – beste Grüße an die Tagträumer – wird zur Zeitverschwendung, Sprichworte wie „Jeden Tag eine gute Tat!“ erlangen Bedeutung. Im Tun liegt die Gestaltung des Lebens, nicht im Sich-Treiben-Lassen. Mit jedem Tun eröffnen sich eine Menge neuer Wege, aus welchem man sich morgen wieder einen aussuchen muss. Man hätte, retrospektiv, einiges anders machen können. Aber dann wäre man heute nicht hier. Mancher Fehler hätte vermieden werden können. Dafür hätte man andere gemacht. Nein, er war schon gut so, der Weg bis hierher! Also, warum rege ich mich auf?! Über meine Unzulänglichkeit, meine „Jugend“? Über die Tatsache, dass mir noch die Fähigkeit fehlt, innerlich gelassen zu bleiben? Vielleicht könnte ich hier schon etwas weiter sein. Aber ich denke, die – wenn auch harte – Erkenntnis, dass man den Lauf der Welt als ganze als Einzelner nicht aufhalten oder ändern kann, ist doch schon einmal ein Anfang. Und so beginne ich, an den kleinen Dingen zu arbeiten. Das kann etwas werden … Und für neue Anfänge ist es nie zu spät!
© Thomas Dietsch