Die Wellen rauschen an den Stränden der Ägäis, in Athen der Verkehr in Massen. Es stinkt nach Abgasen, Dreck und Hitze machen im Sommer das Atmen in der Stadt schwer. Kühler und romantischer ist es am Meer, irgendwo an den Stränden der vielen griechischen Inseln. Eigentlich alles in Ordnung, so auf den ersten Blick. Das Leben bahnt sich seinen Weg. Erst auf den zweiten Blick, den in die Seitengassen und hinter die Kulissen, fällt einem der Kontrast ins Auge, die Veränderung. Auf den großen Straßen, den Alleen, den Pulsadern der Stadt, sind die mikrofeinen Risse noch kaum erkennbar. In den Seitenstraßen: ein Bild des Verfalls. Die Stadt und auch der Staat sind pleite. Altbekannt!

Eine Bar in Athen, welche sich auch in London oder sonstwo in irgendeiner Metropole befinden könnte. Unverputzte Wände, freigelegte Rohre und ein DJ-Pult, der universellen Look jugendlicher Subkultur. Drei junge Frauen haben dort ein paar Stände mit selbst geschneiderter Kleidung, Schmuck und Taschen aufgebaut.

Ich beobachte die Szene: manchmal bleiben Menschen stehen, betrachten die Ware, vielleicht eine kurze Erkundigung nach Preis oder Qualität. Aber man geht weiter. Das Geld ist knapp im Volk! Wenn jemand ernstere Kaufabsichten an den Tag legt, dann sind dies meist Touristen, unter anderem auch aus Deutschland. Unterhält man sich nur über den Einkauf? Oder spricht man, zum Beispiel in der gleichen Altersgruppe, nicht auch über andere Dinge wie: „Wo kommst Du her?“, „Ich bin die … und der …“ und ähnliches. Was antwortet man einer netten, jungen Griechin hinter dem Tresen des schlecht besuchten Standes auf die Frage nach der Herkunft? „Aus Deutschland!“ und lächeln? Sich vielleicht gar um den Hals fallen? Haben uns die Medien nicht auf beiden Seiten konditioniert? Gehe ich dahin und kaufe etwas und sage, dass ich aus Deutschland komme, dann muss doch bei der Athenerin die ganze Datei ablaufen: Deutschland-Schäuble-Sparmaßnahmen-Unterdrückung! Und dann weicht wahrscheinlich ihr Lächeln aus dem Gesicht. Von uns kommt das Spardiktat, vom trotzigen Noch-Premierminister Alexis Tsipras, der Vorwurf der „Erpressung“ an den Rest Europas.

Insgesamt ergeben sich Bilder eines europäischen Failed State, in dem Menschen hungern, lebenswichtige Medikamente fehlen und die Politiker durchgedreht sind. Oft wird dabei übersehen, dass es in Griechenland immer noch eine urbane Mittelklasse gibt. Talentierte junge Menschen, die eine Hoffnung für dieses Land sind. Wie sehen sie ihre Zukunft hier? Und was denken sie über Deutschland? Die, die als Kinder ihre ersten Euro-Münzen in Händen hielten. Die, von denen man erwartete, dass sie studieren, auf dass es ihnen einmal besser geht. Die, die die Grenzen des Landes sprengen und im Reigen der europäischen Bildungselite mitreden sollten. Wie geht es diesen jungen Menschen? Berichtet einer über sie? Über ihre zerplatzten Träume, abgebrochenen Studien, um zum Familienunterhalt beizusteuern und jener nicht auf der Tasche zu liegen. Bilder und Berichte von verzweifelten Rentnern, die vor geschlossenen Banken warten, gibt es viele. Es ist schlimm, mitanschauen zu müssen, wie die Menschen leiden, die den Staat aufgebaut und über Jahrzehnte geprägt haben, der nun innerhalb von Monaten von politischen Phantasten dem Verfall preisgegeben wird. Die Alten verdienen die Unterstützung, sie haben den Staat ein Leben lang getragen. Aber was geschieht danach? Jede Generation stirbt einmal aus. Und die Jugend ist unsere Zukunft. Jungen Menschen die Perspektive, ja, die Träume zu nehmen heißt, ihnen und mithin einer Gesellschaft die Zukunft zu nehmen. In Armut den Tag wegdösen zu müssen ist ein Verbrechen an einer ganzen Generation. Ein Delikt am Volk selbst! Und so sei es den Menschen gedankt, die trotz der Tatsache, dass sie aus der Bahn geworfen wurden, die Dinge neu anpacken. Nicht studieren, aber zum Beispiel einen Stand eröffnen, um zum Familienunterhalt beizutragen. Dies gilt generationenübergreifend. So hat ein 50-jähriger Banker, nachdem er in seinem Urlaub gekündigt wurde und nach einem Jahr staatlicher Stütze – länger gibt es in Griechenland keine Unterstützung von Arbeitslosen – auf der Straße landete, eine Suppenküche eröffnet. Ein Unternehmen für die, die noch schlimmer als er dran sind. Sage keiner, die Menschen seien faul! Hilft der Staat nicht, worauf die Steuerzahler eigentlich Anspruch hätten, so helfen sich die Menschen selbst. Griechenland ist kein Failed State, nein, das Land ist ein Projekt. An der staatlichen Politik vorbei haben die Menschen das Ruder übernommen. Gönnen wir ihnen auch eine Zukunft!

© Thomas Dietsch