Der heutige Tag könnte historisch werden, zumindest aus Sicht der türkischen Opposition. Angetreten ist ein Bündnis aus sechs Parteien, das kaum mehr eint als das gemeinsame Ziel: Recep Tayyip Erdogan von der Spitze des Landes zu verdrängen. Bereits das macht deutlich, was es in der Türkei braucht, um den langen Mann, wie
ihn seine Anhänger nennen, abzulösen. Raus aus der Autokratie, hin zu mehr Demokratie? So wie einst unter Mustafa Kemal, hin zu einem säkularen modernen Staat? Wie sieht es nach rund hundert Jahren aus?
Ein Ausblick: Die Türkei ist ein Staat voller Gegensätze, die nicht zuletzt der einzigartigen Geografie des Landes geschuldet sind: Ganz im Westen liegt die moderne wirtschaftlich starke Mega-Metropole Istanbul auf europäischem Gebiet, während das gebirgige Südostanatolien sehr traditionell und landwirtschaftlich geprägt ist. Die Hauptstadt ist AnkaraSchon vor über einer Million Jahren siedelten frühe Menschen wie der Homo erectus
und der Neandertaler auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Ab etwa 1600 v. Chr. entstanden die ersten modernen Zivilisationen wie das Reich der Hethiter in Zentralanatolien. Griechen siedelten vor allem entlang der Küste der Ägäis, unter anderem in Halikarnassos (dem heutigen Bodrum) und in Milet. Auch das legendäre Troja befand sich auf türkischem Boden. Im 19. Jahrhundert verlor das Osmanische Reich nach und nach Serbien, Rumänien,
Griechenland und Bulgarien, die sich unabhängig erklärten. Weitere Territorien gingen in den Balkankriegen 1912 und 1913 verloren und die Osmanen wurden bis in die Grenzen der heutigen Türkei abgedrängt. Im Ersten Weltkrieg schloss sich die Türkei dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn an und bezahlte mit hohen
Verlusten. 1923 wird Ankara offiziell zur neuen Hauptstadt gekürt und die Türkische Republik wird am 29. Oktober 1923 ausgerufen. Mit dem Vertrag von Lausanne (1923) gelingt es Mustafa Kemal die Beschlüsse des Vertrags von Sèvres zu widerrufen und zu ersetzen. Es handelt sich dabei um eine doppelte Errungenschaft, da nicht nur die
Anliegen der Türkei, wie die Bewahrung des Staatsgebietes, umgesetzt werden, sondern zugleich die internationale Staatengemeinschaft die neue türkische Regierung anerkennt und somit der Herrschaft Mustafa Kemals nichts mehr im Wege steht. Frauen mit Kopftuch und Imame, die frühmorgens ihre Gebete anstimmen? Davon hält Mustafa Kemal nicht viel. Sämtliche Spuren des Islams werden weitestgehend aus staatlichen Angelegenheiten bereinigt: Die Entwicklung der Republik ist eine Erfolgsgeschichte: Die heutige Türkei ist ein aktiver außenpolitischer Gestalter in der Weltpolitik und – bis vor kurzem –eine starke Volkswirtschaft. Man muss aber auch die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen hinter der Geschichte – das ideologisch geprägte Justizsystem, die Macht des Militärs, die Verfolgung von Schriftstellern und die
Debatte um Religion und Säkularismus beachten. Die heutige Wahl wird zeigen, wohin die Reise geht …

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