Eigentlich hat Joe Biden mit seinem ungeplanten Satz am Ende seiner Rede in Warschau nur eine logische Konsequenz benannt: Wenn sich Wladimir Putin mit dem mörderischen, völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine endgültig als „Kriegsverbrecher“ und „Schlächter“ entlarvt hat, wie es der amerikanische Präsident schon vorher ohne Widerspruch verkündet hatte, dann kann man als demokratisch und freiheitlich gesinnter Beobachter des Ukrainekriegs Biden nur zustimmen: „Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“ (tagesschau.de).
Was genau Biden mit diesem Satz sagen wollte und ob dieser Satz so geplant war, ist nicht sofort klar. Hat er es moralisch gemeint, dass Putin jedes Recht verloren habe, von der Welt noch als legitimer Staatschef anerkannt zu werden? Oder hat er tatsächlich dazu aufgerufen, den Mann an der Spitze einer Atommacht aus dem Amt zu entfernen? Ergebnis der Rede war ein Sturm der Empörung. Biden zerstöre die „Einheitsfront“ des Westens. Erinnern wir uns: haben wir in den Monaten vor dem illegalen Angriffskrieg nicht vierzig bis fünfzig mal mindestens die russische Aussage gelesen oder gehört: man habe kein Interesse, die Ukraine anzugreifen?! So oder so ähnlich!
Konsequenz: Die russische Seite hat mehrfach gelogen; und nicht nur Putin …
Was will man mit so jemandem? Was ist nach dem Krieg? Wollen wir mit diesem Staat und diesem Diktator wieder Geschäfte machen? Er bricht rund um die Uhr selbst unterzeichnete Verträge. Man denke zum Beispiel nur an die Energielieferverträge, zu zahlen in Euro oder US-Dollar. Putin will par ordre du mufti zukünftig Rubel. Aus seiner Sicht nachvollziehbar – Putin will den Rubel stützen und braucht nach den Sanktionen Geld in der Kriegskasse. Nur: Putins Entschluss ist juristisch für uns nicht die Bohne bindend. Olaf Scholz hat es formuliert, falls der russische „Präsident“ dabei bleibt: Vertragsbruch! In seiner kämpferischen Rede machte Biden klar, dass die Welt ein „langer Kampf“ (news.at) der Demokratien gegen die Autokratien erwarte. Es gehe um eine große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen einer regelbasierten Ordnung und einer, die von brutaler Gewalt bestimmt wird. Man müsse dabei klar sehen: Diese Schlacht werde nicht in Tagen geschlagen werden oder in Monaten. Wir müssen uns für einen langen Kampf einstellen, so auch der inmitten des Zweiten Weltkriegs geborene US-Präsident.
Diese Passage der Rede, Putin könne nicht an der Macht bleiben, sorgte für eilige Reaktionen. Ein ranghoher Vertreter des Weißen Hauses, der ungenannt blieb, betonte, Biden habe nicht zum Sturz Putins aufgerufen. „Die Botschaft des Präsidenten war, dass es Putin nicht erlaubt sein darf, Macht über seine Nachbarn oder die Region auszuüben“ (dw.com). Aus dem Kreml hingegen kam der kühle Kommentar, nicht der US-Präsident bestimme über Russlands Staatsspitze, sondern das russische Volk. Soweit d ́accord!Aber in einer freien Wahl, nicht im Rahmen einer „Zarenkrönung“. Notfalls muss das russische Volk Putin stürzen …