Viele Kunstschaffende, Intellektuelle und Literaten begrüßten den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Sie sahen in ihm nicht das Ende oder den Untergang, sondern die Veränderung zum Besseren und stimmten ein in jenen patriotischen Taumel, der das Geschehen in den ersten Wochen und Monaten des Krieges bestimmte. Was
motivierte sie dazu, nicht nur ihr Werk in den Dienst des „Vaterlandes“ zu stellen, sondern sich oft auch persönlich an den Kampfhandlungen zu beteiligen? Das ist heute Gott sei Dank nicht mehr so. Die Erfahrungen, hauptsächlich aus den beiden großen Kriegen, haben uns eines Besseren belehrt. Das künstlerische Werk mit einem propagandistischen Zweck zu versehen, ja, das widerspricht dem Begriff Kunst an sich. Diese kann banal schön sein, in erster Linie sollte sie aber auch kritis h sein. Will heißen: Gute Kunst ist zeit- und sozialkritisch.
Das war auch so seinerzeit nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Wann ist Kunst frei? Werden Künstler – gerade Maler/-innen – nicht manches Mal missverstanden?! Oft wird eingewandt, die Kunst kapituliere vor dem Krieg, verharmlose ihn. Diese Argumentation verkennt möglicherweise völlig die Beweggründe der Künstler.Denn diese lassen sich nicht wie Berichterstatter darauf festlegen, eine bestimmte Haltung, möglichst eine kritische Distanz zum dargestellten Objekt einzunehmen. Es ist nicht ihre Aufgabe, ein Geschehen zu analysieren, Brüche und Verwerfungen gesellschaftlicher Realität darzustellen. Ihre Arbeit besteht vielmehr darin, dem Aufprall der Tatsachen in der Gestaltung standzuhalten. Die Kunst will den Betrachter erschrecken oder warnen. Sie muss es aber nicht
unentwegt tun. Mit gleichem Recht darf sie ihn der belastenden Wirklichkeit entrücken. Künstler/-innen waren und sind immer auch Ketzer. Sie haben stets Traditionen und Gewissheiten überwunden, mit allen Risiken. Michelangelo etwa, dessen Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle Neil Mac Gregor 2016 als „große Meditation über Religion“ bezeichnet. Seine Zeitgenossen sahen das freilich anders. Adam, Eva, Engel und Heilige nackt wie Gott sie schuf – das war skandalös, eine Gotteslästerung. Folglich wurde Daniele da Volterra beauftragt, das Werk zu
„entschärfen“ (kulturrat.de). Worin unterscheidet sich der heutige Diskurs von früheren Bilderstürmen? Warum
sind die Grenzen für künstlerische Freiheit, die von rechts gefordert werden nicht gleich mit denen von links?
Missstände wie Kriege erledigen sich nicht, wenn wir ihre Darstellung verbannen oder katalysieren, sondern, wenn wir den Diskurs führen, den nur eine freie Kunst anbietet. Die Rechte will diesen Raum schließen, die Linke will ihn öffnen, indem sie Fragen nach Diversität, Diskriminierung und Demokratie aufwirft. Anders als in den rechten Zensursehnsüchten geht es in der von Linken geführten Debatte nicht um Verbote, sondern um neue Perspektiven auf die Künste und ihre Freiheiten. Links oder rechts, sei ́s drum! Kunst, die instrumentalisiert wird, ist nicht frei …
Im Russland der heutigen Tage kann keine Kunst gedeihen, hierzu fehlt es dort schon an der Basis. Bei uns sieht man in der Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG daher die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden“ (bpb.de). Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen.