Polens Verfassungsgericht ist seit Jahren nur noch der verlängerte Arm der Regierungspartei PiS, das Oberste Gericht ist auf dem Weg dorthin weit fortgeschritten. Schon urteilen dort neben alten, legal ernannten und unabhängig urteilenden Richtern 43 politisch kontrolliert ernannte, linientreue Richter einschließlich der selbst rechtswidrig ins Amt gekommenen Gerichtspräsidentin Małgorzata Manowska. Im September 2020 erklärten Richter (zeit.de, 02.03.2021) einer vom EuGH Monate zuvor verbotenen, weil politisch abhängigen Disziplinarkammer am Obersten Gericht, ein Grundsatzurteil des EuGH zum Rechtsstaatsabbau in Polen vom 19. November 2019 könne nicht für bindend auf Grundlage der polnischen Rechtsordnung angesehen werden.

Die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des Zugangs zu einer unabhängigen Justiz gelten ausnahmslos für alle Mitgliedstaaten. Angesichts der großen Krisen von Brexit bis zur Corona-Pandemie besteht die Gefahr, dass die fortschreitende polnische Justizreform in den EU-Staaten nicht die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient.

Für die Regierung in Warschau mag dies von Vorteil sein. Sie hat ja öffentlich erklärt, dass Polen nicht unbedingt an die Entscheidungen des EuGH gebunden sei. Für die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Europäischen Union ist die sogenannte Justizreform in Polen eine ernste Bedrohung.

Denn wenn auch in anderen EU-Ländern Regierungen mit einer ähnlichen politischen Ausrichtung wie die PiS-Partei an die Macht kämen, wäre die unabhängige Justiz in der gesamten EU in Gefahr. Wenn jeder Mitgliedstaat beginnen würde, den EuGΗ systematisch zu ignorieren, hätten die europäischen Werte für die EU selbst keine Bedeutung mehr.

Am Ende vergisst die polnische Regierung im Streit mit der EU etwas sehr Wichtiges: Die Implementierung europäischen Rechts und die Einhaltung von EuGH-Entscheidungen ist weder eine Geschmackssache noch eine Frage der Wahl nach eigenem Ermessen. Es ist eine Verpflichtung, die sich aus dem freiwilligen (dw.com) EU-Beitritt ergibt.

Deshalb fürchtet die polnische Regierung auch eine jüngst mit qualifizierter Mehrheit beschlossene Bindung von EU-Zahlungen inklusive Corona-Hilfsgeldern an rechtsstaatliche Prinzipien. Sind diese nicht gegeben, dann können EU-Gelder gekürzt oder gar insgesamt verweigert werden.

Ob es bei den systematischen Rechtsstaatsverstößen in Ungarn und Polen dann aber auch wirklich zu einer Mittelkürzung für diese Länder kommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Die Hürden sind extrem hoch: In jedem einzelnen Fall muss die EU-Kommission beweisen, dass ein spezifischer Verstoß auch die rechtmäßige Verwendung von EU-Geldern verhindert. Viele Rechtsstaatsverstöße werden damit von vornherein nicht erfasst. Aber mehr war politisch nicht drin. Dabei wird EU-Recht immer häufiger gebrochen, neuerdings auch in Slowenien.

In Wahrheit ist die neue, mit großem Getöse angekündigte Daumenschraube bei Rechtsbrüchen ein Placebo. Es ist bitter: Die Rechtsgemeinschaft EU wird auch künftig bei Fehlverhalten gegen ihre eigenen Fundamente ziemlich machtlos bleiben.

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