Zahlreiche Länder sind im Syrien-Konflikt direkt involviert und verfolgen dort vor allem eigene Interessen. Zwei besonders gewichtige Akteure stehen in Syrien zwar auf unterschiedlichen Seiten, sind bislang aber ungeachtet dessen auch internationale Partner: Russland und die Türkei. Deren Zusammenarbeit steht nach den Ereignissen vom Montag in Frage.

Die Türkei hat nach Angaben ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag F-16-Kampfjets nach Syrien geschickt, die dort auf Dutzende Ziele feuerten, die der syrischen Armee zugerechnet wurden. Der Regierung in Ankara zufolge wurden dabei zwischen 35 und 76 syrische Soldaten getötet beziehungsweise „neutralisiert“ (n-tv.de), was auch Verletzte einschließen könnte.

Seit gut zwei Monaten geht das Asad-Regime mit Hilfe der russischen Luftwaffe wieder verstärkt in Idlib vor. In der überwiegend von islamistischen Rebellen kontrollierten Region leben über drei Millionen Menschen. Rund die Hälfte davon sind Vertriebene, die vor dem Regime aus anderen syrischen Gebieten geflüchtet waren. Der Vormarsch der Regierungstruppen hat in Idlib eine neue Fluchtwelle ausgelöst. Seit Anfang Dezember floh eine halbe Million Menschen aus dem Süden der Provinz an die geschlossene türkische Grenze im Norden.

Trotz dem immensen menschlichen Leid ist das Asad-Regime entschlossen, „jeden Zentimeter syrischen Bodens“ (nzz.ch) zurückzuerobern. Offensichtlich ist es vom russischen Rückhalt so überzeugt, dass es sich auch durch die gegenwärtigen türkischen Manöver nicht bremsen lässt. In der Nacht auf Montag kam ein neuer türkischer Militärposten westlich von Sarakeb unter Artilleriebeschuss.

Ankara hatte 2019 erklärt, nach dem Einmarsch in Nordsyriens Kurdenregion bis zu zwei Millionen in der Türkei lebende Männer, Frauen und Kinder umsiedeln zu wollen. Dies verstoße einem Gutachten des Deutschen Bundestages nach gegen internationales Recht, wenn keine Gefahr für „die Sicherheit der Bevölkerung oder zwingende militärische Gründe“ vorlägen. Beobachter wiesen zuletzt darauf hin, dass die syrischen Kurden die Türkei weder angegriffen noch bedroht hätten. Die Bundesregierung sprach davon, eine Rückkehr syrischer Flüchtlinge nur unterstützen zu wollen, wenn sie „ohne gezielte Veränderung der demografischen Struktur vor Ort“ erfolge, wie es im Gutachten heißt.

Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte nach einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan dem Kreml zufolge, die Lage rund um Idlib sei besorgniserregend. Es gebe eine starke Zunahme terroristischer Gruppen. Dies führe auch zu vielen zivilen Opfern, sagte Putin am späten Abend. Es sei vereinbart worden, dass die Verteidigungsministerien beider Länder Sofortmaßnahmen zur besseren Koordinierung des Vorgehens in Syrien ergreifen sollten. Details wurden zunächst nicht genannt. Es sei außerdem notwendig, dass das Abkommen beider Länder zu Idlib strikt umgesetzt werde.

Viele Menschen sind nun auf der Flucht in der Region. UNO-Hilfsorganisationen warnen schon seit Längerem vor einer humanitären Katastrophe vor Ort. Mit fortschreitender Rückeroberung des Landes durch Assad ist die Zahl der Menschen, die in Idlib leben, von einer auf drei Millionen angewachsen. Laut UNO sind seit Anfang Dezember Massen von Menschen auf der Flucht. Die Zahl der Vertriebenen in den vergangenen neun Monaten soll sich auf 750.000 belaufen (SPON).

Schon jetzt haben die Spannungen zwischen Moskau und Ankara zugenommen. Ein Versuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin, eine politische Lösung für Idlib zu finden, war in der Vergangenheit gescheitert. Erdogan, der verschiedene Rebellengruppen unterstützt, gelang es nicht, die HTS-Miliz abzurüsten; Putin konnte Assad nicht von dessen Plan abbringen, ganz Syrien zurückzuerobern.

In Idlib wird die letzte Schlacht geschlagen, die stärker eskaliert als bei den früheren Offensiven, bei denen die dschihadistischen Milizen mit ihren Familien der Abzug in noch nicht von Damaskus kontrollierte Gebiete gewährt wurde. Zwar hat sich die Türkei, die die syrischen Islamisten unterstützt, in Nordsyrien mit Afrin und einem Gebiet von Rojava vorsorglich Territorien gesichert, um meist nicht-kurdische Flüchtlinge aus Syrien und alliierte Milizen mit ihren Familien anzusiedeln und zugleich die Kurden aus den Grenzgebieten zu vertreiben, aber wenn Hunderttausende vor der Offensive in einem Massenexodus fliehen, ist Ankara überfordert. Die Türkei hat die Grenze geschlossen und nutzt die Situation, um die EU unter Druck zu setzen (heise.de), auch um auf Russland einzuwirken, die Offensive zu stoppen.

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