70 Jahre nach der Gründung der Nato unterstrich Generalsekretär Stoltenberg erneut die Bedeutung der Militärallianz. Sie sei das einzige Forum, in dem Europa und Nordamerika zusammen diskutierten und gemeinsame Maßnahmen beschlössen, sagte Stoltenberg vor einem Arbeitstreffen der Staats- und Regierungschefs nahe London. Die Nato sei nicht „hirntot“, wie es Frankreichs Präsident Macron gesagt habe. Vielmehr sei sie aktiv und anpassungsfähig. Der britische Premierminister Johnson betonte, die Nato bringe Frieden und Sicherheit.

Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was man einem rüstigen 70-Jährigen kurz vor der Jubiläumsfeier zuruft, dem Nato-Gipfel am Dienstag und Mittwoch in London. Prompt weisen andere Familienmitglieder die Kritiker zurecht: „Der Erhalt der Nato ist in unserem ureigensten Interesse – mindestens so stark wie im Kalten Krieg“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Haushaltsdebatte am vergangenen Mittwoch (tagesspiegel.de). „Die Nato lebt – von Kopf bis Fuß“, sekundiert Außenminister Heiko Maas (SPD).

Trotz aller internen Konflikte bleibt das Militärbündnis weltweit einzigartig. 29 Mitgliedsstaaten mit insgesamt mehr als drei Millionen Soldaten sind in ihm organisiert. Und seit ihrer Gründung 1949 hat sich die Nato stetig weiterentwickelt. Manche Baustellen sind neu, andere schon Jahrzehnte alt.

In erster Linie ist die Nato eine länderübergreifende Militär-Bürokratie. Deren Strukturen sind historisch gewachsen und bis heute spürbares Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges. An dutzenden Standorten verteilt über den gesamten europäischen Kontinent arbeiten zivile und soldatische Mitarbeiter an der Vernetzung der Streitkräfte.
Der Nordatlantikrat ist dabei das wichtigste politische Entscheidungsgremium der Nato. Dort sind alle Mitglieder mit Vertretern repräsentiert. In Fragen der nuklearen Abschreckung ist ihm die sogenannte Nukleare Planungsgruppe gleichberechtigt gegenübergestellt. Parallel zu diesen politischen Gremien besitzt die Nato eine militärische Kommandoinfrastruktur mit Hauptquartieren in verschiedenen europäischen Staaten und den USA. Die dort beschäftigten Soldaten werden von ihren jeweiligen Herkunftsländern für eine gewisse Zeit bereit gestellt, die Nato-Verwaltung ist also international. Die Nato beschäftigt aber auch eine große Zahl komplett eigener ziviler und militärischer Mitarbeiter. Allein im Nato-Hauptquartier in Brüssel sind rund 4.000 Mitarbeiter beschäftigt, etwa die Hälfte davon abgeordnet von den Streitkräften der Mitgliedsstaaten.

Grundsätzlich existieren zwei große Aufgabenbereiche für die Nato: Der klassische Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages umfasst ein Recht auf kollektive Verteidigung. Wird ein Mitglied angegriffen, so wurden alle angegriffen. Zwischen 1949 und 1990 koordinierte die Nato darum die militärische Verteidigung an der innerdeutschen Grenze. Bei einem Angriff des Warschauer Paktes sollten nicht ausschließlich westdeutsche Soldaten die Hauptlast tragen. Durch die dauerhafte Stationierung etwa von US-Soldaten in Deutschland sollte sichergestellt werden, dass die USA bei einer möglichen Eskalation des Kalten Krieges Europa nicht allein zurückgelassen hätten.

Die viel beschworene multipolare Welt wird realer. Nun findet sie das erste Mal auch Eingang in die Abschlusserklärung eines Nato-Gipfeltreffens. 29 Mitgliedstaaten haben sich im 70. Jahr nach der Gründung des westlichen Verteidigungsbündnisses am Dienstag darauf geeinigt, die aufstrebende Militärmacht China erstmals explizit als mögliche neue Bedrohung zu klassifizieren (dpa).

Die Nato braucht ein neues Feindbild. Wie war das damals: Als der Nordatlantikpakt am 4. April 1949 in Washington unterzeichnet wurde, verlor US-Präsident Harry Truman kein Wort darüber, gegen wen das neue Bündnis, zu dem sich die USA, Kanada, Großbritannien und neun weitere europäische Staaten zusammengeschlossen hatten, gerichtet war. Der erste Generalsekretär des Bündnisses, Lord Ismay, war weniger diplomatisch. Von ihm stammt die Kurzform: Die Nato soll die Amerikaner in Europa drin, die Sowjets draußen und die Deutschen klein halten. Doch spätestens seit der Truman-Doktrin von 1947 war klar, dass es der Nato vor allem um ein Ziel ging: den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen.

Solange die USA als mächtigste Militärmacht der der Welt an der Nato festhalten, dürfte sich das Bündnis keine Existenzsorgen machen müssen. Dass sich Trump zuletzt immer wieder zur Nato bekannte, hat viele osteuropäische Partner beruhigt. Selbst wenn sich Frankreich aus Frust über die Politik von Alliierten ganz oder teilweise zurückziehen sollte, wäre die Nato wohl nicht bedroht. Der Hauptzweck der Allianz besteht darin, mögliche Gegner vor einem Angriff abzuhalten. Diese Abschreckung wäre auch ohne Frankreich möglich.

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