Sie saßen schon eine ganze Weile in dieser Kneipe an der Ecke im Stadtzentrum. Sie, 19 Jahre alt, Azubi, knapp vor der Prüfung. Er, 57 Jahre, knapp vor der Frührente. Es war eine Zufallsbegegnung, irgendwie kam man ins Gespräch. Und er hatte ihr einiges aus seinem Leben erzählt, wie es damals war zu seiner Kinder- und Jugendzeit. Als Muttern noch Socken stopfte, sein Vater am Wochenende Stunden am Fahrzeug der Familie verbrachte. Ständig wurstelte er an dieser Mistkarre herum, die irgendwie nie richtig lief. Auf die eine oder andere Art musste man das Auto ja in Gang bringen und am Laufen halten. Wenn Papa es schaffte, folgte der Sonntagsspaziergang. Wenn nicht, gab es Mutters frisch gebackenen Kuchen am Nachmittag. Telefonieren? Ach ja! Sie hatten lange kein eigenes Telefon. Oft kam die Nachbarin, klingelte ganz hektisch. Der oder die aus Sonstwo war am Telefon. Man rief sie an! Das war das Wochengespräch! Man erhielt einen Anruf von weiter weg.

Ganz so sicher war er sich nicht, während er da so erzählte, ob sie ihm überhaupt zuhörte. So vertieft über ihrem Handy mit ihren lilafarbenen Haaren. Früher hätte es geheißen: „So gehst Du mir nicht vor die Tür!“. Lange her, von wegen Respekt vor dem Alter. Und man hörte zu, das gebührte der Anstand. Handy … Sie hatte ihn vorhin korrigiert: Das sei kein Handy, sondern ein Smartphone! Aha, da war wieder etwas an ihm vorbeigezogen. Oder vielleicht war sie auch zu jung, um die Telefongeneration des Handys noch zu kennen?! Ach, er hatte keine Ahnung, so in seinem Alter. Sie hatte ihm einen Crashkurs gegeben, von wegen Unterschied von Smartphone zu Handy. Der war enorm! Mit so einem Ding musste man ständig „on“ sein. Alle eineinhalb Minuten zwitscherten Vögel. SMS-Eingang! Man musste antworten. Dreimal Anruf. Lover, Freundin, Mutter. Im Rahmen des Multitaskings telefonierte man jetzt während des Gesprächs am Tisch. Nicht mehr dieses alte „Ich bitte um Entschuldigung!“ und der Gang nach draußen. Warum auch?! Wenn die Geheimdienste schon mithörten, warum nicht auch der Tischnachbar? Man tat ja schließlich nichts Illegales. Erstes Gespräch kurz, nett – vielleicht ein bisschen verliebt – wie bei einem alten Ehepaar. Zweiteres lang und ausgedehnt. Seit dem gestrigen Treffen hatte sich in der Welt der jungen Damen offensichtlich Revolutionäres ereignet. Letzteres genervt und bestimmt. Ja, und jetzt galt es den Rückstand bei irgendeinem Onlinespiel wieder aufzuholen. Wie stressresistent die heutige Jungend doch war. Man selbst würde hierbei auf dem Zahnfleisch gehen … Eigentlich war er mit seinem Handy recht zufrieden. Es hatte zwar schon einige Jährchen auf dem Buckel, der Akku hielt nicht mehr so lange wie früher. Aber ansonsten: es war schon eine weltbewegende Erfindung. Man hing nicht mehr an der Strippe, konnte es überall hin mitnehmen. Er kannte von früher aus Kindertagen noch das Fräulein vom Amt. Die einen da weiterstöpselte. Das war die Vermittlung. Machten heute wahrscheinlich die Satelliten da oben. Aber früher war das netter und persönlicher. Neulich hatte er im Radio gehört, dass deshalb nur junge Frauen für diese Tätigkeit ausgewählt wurden, weil es einfach netter war, mit einer jungen Dame zu plaudern. Schließlich hatte man nicht selten lange warten müssen, bis eine Verbindung zustande kam. Manch einer wurde da schon ungehalten. Und der zweite Grund war, dass die hohen Töne der weiblichen Stimme besser vom Schall getragen werden konnten als brummelige männliche. Alles so kompliziert. Ja, sein Handy! Hatte er doch neulich entdeckt, dass er damit sogar Bilder schießen konnte. Gut, sie waren klein. Aber man erfreute sich an den Schnappschüssen. Fräulein Lila meinte dazu nur, das sei uncool. Viel zu wenig Pixel! Was das auch immer hieß! Sie hatte ihr Telefon-Dingsbums schon mega lange, mindestens ein Jahr. Nächstes Jahr wollte sie ein neues haben. Schließlich würde die „Schrottmühle“ ihren aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht. Obwohl dieses Modell schon wesentlich weiter sei als das vorhergehende. Es folgte eine Demonstration: musste man vorher beim Aufrufen eines Fotos, wenn das Handy sich drehte, das Telefon manuell wieder in die senkrechte Position bringen, um das Bild zu begutachten, zeigte dieses neuere Model das Bild stets senkrecht, egal in welcher Position man das Telefon halte. Er staunte, so so! Und bei der neusten Version, die sie eventuell zu Ostern erwartete, sie diese Applikation noch wesentlich verbessert. Nun denn; was das Bild dann auch immer tat … Die Jugend! Stets auf dem Laufenden! Er sah das Strahlen auf ihrem Gesicht. Neues Handy, neues Ansehen! Wer etwas auf sich gab, war im Besitz eines Mobilfunkgerätes der neuesten Generation. Das kam ihm alles ein wenig bekannt vor. Früher, als sein Vater auf die Besitzer großer Wagen schimpfte: „Eingebaute Vorfahrt“, „Angeber“, „Kleiner Mann, große Karre!“. Sozialneid wurde schon immer geschürt. Heute identifizierte man sich über den Schrott von morgen. Das Wort „Reparatur“ stand nur noch im Duden. Komisch, diese heutigen Gewohnheiten! Wurde nicht aus dem Lebenspartner auch der/die Lebensabschnittsgefährt-e/-in? Reparieren lohnte heute nicht mehr. Man warf weg …

© Thomas Dietsch

 

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