Die Türken vor Wien? Das war vom 27. September bis zum 14. Oktober 1529 und nochmals bei der zweiten Belagerung vom 14. Juli bis 12. September 1683, als die Truppen des Osmanischen Reiches ins Abendland eingedrungen waren. Bei der Schlacht am Kahlenberg zogen sich schließlich die osmanischen Armeen zurück. Der Islam hatte schon mehrfach Einzug in Europa gehalten und diverse Prägungen hinterlassen, auf welche betroffene Regionen gerne zurückgreifen und auch stolz darauf sind. Der Legende nach soll das Croissant 1683 in Wien erfunden worden sein. Croissant wie „croissant de lune“, was nichts anderes bedeutet als „zunehmende Mondsichel“. Ja, der werden Erinnerungen an den türkischen Halbmond wach. Und das ist zutreffend. Gemäß der Legende soll ein Wiener Bäcker durch jenen auf den Standarten der Feinde vor den Stadttoren zum Backen der Leckerei inspiriert worden sein, die ab da ihren eigenen Siegesfeldzug durch Europa antrat. Die Franzosen lassen grüßen …
Provinz Granada, Spanien. Bauwerke aus Zeiten der islamischen Besetzung prägen das Stadtbild und die Region. Die Alhambra (arabisch Al-Hamra: rötliche Mauern), in maurischer Zeit erweitert, zählt zu den wichtigsten Touristenattraktionen und ist seit 1984 Weltkulturerbe.
Islamisches Kulturgut, geschätzt im christlichen Abendland! Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Die Hinterlassenschaften der Geschichte werden gepflegt und zu Geld gemacht. Wir schätzen und bewundern die Bau- und Kunstwerke der Muslime, sie selbst fürchten wir. Warum eigentlich?!
Zum 3. Oktober 2010 hatte der damalige Bundespräsident Christian Wulff in einer Rede die These aufgestellt, der Islam gehöre zu Deutschland. Ein Aufschrei ging durch die Republik. Nie im Leben!
Dabei zwingt unser Grundgesetz in Artikel 4 den Staat zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Die Frage muss also lauten: warum nicht? Vor was haben wir eigentlich Angst?
Muslime, Moslems, Islamisten und Salafisten prägen mittlerweile unseren Alltag.
Die Suren des Koran sind wie die Verse der Bibel oft sehr unpräzise und deskriptiv. Ohne die Auslegung ihrer jeweiligen Schrift können weder Muslime noch Christen ihre Religion hinsichtlich der konkreten Anforderungen im Alltag sinnvoll praktizieren. Und hier scheiden sich die Geister.
Während Muslime, in Ableitung auch Moslems genannt, auf eine gewaltfreie Auslegung Wert legen – rund neunzig Prozent von ihnen lehnen auch Selbstmordattentate ab -, fordern Islamisten eine Politik, die in vielem den Verfassungswerten der Bundesrepublik nicht entspricht. Dies betrifft vor allem die Trennung von Kirche und Staat. In vielen Staaten gibt es eine Religionspolizei, die die Einhaltung der Regeln des Koran im täglichen Leben der Gläubigen überwacht und Verstöße sanktioniert.
Salafisten hingegen interpretieren die Suren des Koran nicht. Sie verstehen das Buch auf ihre eigene Art und Weise. Abweichende Perspektiven werden von ihnen nicht toleriert. Das Wort Gottes ist der Auslegung durch den Menschen nicht zugänglich. Bei den Salafisten handelt es sich um gewaltbereite, den Djihad (Kampf auf dem Wege Gottes: al-dschihādu fī sabīli Llāh/الجهادفيسبيلالله) predigende Fanatiker. Im Rahmen ihrer politischen Macht ist der Staat nach der Scharia zu führen. Jene hat aber größtenteils nichts mit Politik zu tun, sondern ist eigentlich eine religiöse Parabel. Die Scharia, der „Weg zur Wasserquelle“, ein religiöses Gesetz oder Ritus. Abgeleitet aus dem arabischen Verb šaraʿa mit der Bedeutung „den Weg weisen“ beziehungsweise „vorschreiben“, ist sie das religiöse Gesetz des Islam. Die Scharia wird von den Salafisten auf den Staat übertragen. Jener handelt nach deren Auffassung nach göttlichem Recht. Eine Trennung zwischen Staat und Kirche, wie in Europa üblich, lässt die Scharia nicht zu. Länder wie unter anderem Irak, Iran, Saudi Arabien, Pakistan und Afghanistan werden auf der Basis der Scharia regiert.
Die Zahl der in Deutschland lebenden Salafisten wird derzeit auf 3.000 bis 5.000 geschätzt. Meist agieren sie unerkannt im Untergrund. Selbstmordattentäter und Terroristen gehören meist dieser Gemeinschaft an.
Innerhalb des Islam gibt es viele Gruppen, die sich untereinander in ihrer Politik und ihren Lehren sehr unterscheiden.
Auch muss man sich vergegenwärtigen, dass terroristische Motivation nicht ausschließlich bei den Salafisten gegeben ist. Terrorismus hat viele Ursprünge, deren Erörterung den Rahmen des heutigen Themas sprengen würde.
Festzuhalten bleibt: wir fürchten eigentlich nicht den Islam und seine Gläubigen. Jener ist mit den in Deutschland lebenden Muslimen Teil des bundesrepublikanischen Alltags, er gehört zu Deutschland. Was uns Angst macht, ist der Terrorismus. Zu Recht! Die Rote Armee Fraktion terrorisierte in den 1970ern auch Deutschland. Es gilt, Verbrechern das Handwerk zu legen. Aber in unserer Verblendung sollten wir uns nicht zu Hass hinreißen lassen auf friedliche Mitbürger, nur um der Quelle unserer Ablehnung ein Gesicht zu geben. Dinge über „einen Kamm zu scheren“ hat nicht selten in der Geschichte zu Mord und Totschlag respektive Kriegen geführt. Im 21. Jahrhundert sollten wir hieraus gelernt haben und die Dinge im rechten Licht betrachten.
Die Ziele der Salafisten kann man größtenteils mit denen der christlichen Kreuzzüge vergleichen. Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. die Christen zum Kreuzzug in das „Heilige Land“ auf. Das war vor rund tausend Jahren! Wir sollten nicht zulassen, dass irgendein anachronistisches Verhalten irgendwelcher Fanatiker unser friedliches Miteinander stört.
© Thomas Dietsch