Vor 70 Jahren, am 12. September 1949, ist Theodor Heuss zum ersten deutschen Bundespräsidenten gewählt worden.
Heuss war von 1949 bis 1959 Staatsoberhaupt. Der FDP-Politiker verschaffte dem Amt Profil und dem neuen Staat Ansehen im Ausland. Bekannt war er für seine Menschlichkeit und seinen Humor. Bei seiner Wiederwahl 1954 errang er 88,2 Prozent der Stimmen. Es ist das bisher beste Ergebnis in einer Bundesversammlung.
Für Westdeutschland erwies sich die Entscheidung als Glücksfall. Genau zehn Jahre lang, bis zum 12. September 1959, blieb er im Amt und gab in dieser Zeit der kriegszerstörten jungen Bundesrepublik den liberal-demokratischen Kurs vor.
Es gab in der westdeutschen Politik viele Befürworter einer „großen“ Koalition aus CDU/CSU und SPD. Sie meinten, die Probleme des Landes sollten von einer breit aufgestellten Regierung angegangen werden. Der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer, sah es anders; er wollte lieber eine „kleine“ Koalition mit der FDP und der Deutschen Partei, die die Westbindung und die soziale Marktwirtschaft vorantreiben könne.
Es ging Heuss beim Wiederaufbau Westdeutschlands nicht nur darum, die zerstörerischen Seiten des Extremismus abzulehnen; er wollte dem jungen Staat über den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus hinweghelfen, indem er an demokratische Traditionen anknüpfte. Darin hatte der Sohn eines württembergischen Regierungsbaumeisters selbst Anteil gehabt. Nach dem Studium der Nationalökonomie, Literatur und Geschichte in München und Berlin war er Journalist geworden, hatte Biografien Friedrich Naumanns und Robert Boschs geschrieben und war Gründungsmitglied und Abgeordneter der DDP gewesen, die zu den wenigen Parteien gehört hatte, die die Weimarer Republik vorbehaltlos unterstützten. Zum Widerstand des 20. Juli 1944 stand er in Verbindung.
Seine Amtsführung war bestimmt vom Versuch, das Bild Deutschlands im Ausland zu rehabilitieren. Immer wieder forderte er, dass die Deutschen sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, rief zur Erinnerungs- und Trauerarbeit auf.
Heuss galt als volksnah und mischte sich stärker in die Politik ein, als das für dieses Amt heute üblich ist. „Entkrampfen“ (swr.de) war eine seiner Lieblingsvokabeln, und er sah sich als Wegbereiter einer offenen Diskussionskultur.
„Heuss zieht dem Kampf das Nachdenken vor“, schrieb der französische Deutschlandkenner Alfred Grosser. Der Protestant Heuss war eher Intellektueller als Politiker. Humor, Gutmütigkeit und Bescheidenheit – so wurde sein väterlicher Stil wahrgenommen. Er selber fand das Klischee von „Papa Heuss“ grässlich, hasste die „Staatsschauspielerei“ und empfand sich als „Staatssklave im Frack“.
Vielleicht war er – aus heutiger Sicht – der größte und vor allem „höchste Netzwerker“ (domradio.de) der frühen Bundesrepublik.
Heuss galt als guter Rhetoriker und machte früh klar, dass Deutschland nicht nur „besiegt“, sondern auch „befreit“ worden war. Oft half ihm ein Augenzwinkern. Es ist bekannt, dass er eine schwierige Situation mit ein, zwei humorvollen Sätzen auflockern konnte (Ludwig Theodor Heuss. Enkel fr.de 10.12.2013). So ließ er etwa seine Skepsis gegenüber dem Militarismus 1958 aufblitzen, indem er Soldaten bei einem Manöver der Bundeswehr mit den Worten verabschiedete: „Nun siegt mal schön“.
Anfang Mai 1952 gingen per Boten förmliche Briefe von Bundeskanzler Konrad Adenauer an Bundespräsident Theodor Heuss und umgekehrt. Es ging um eine wichtige, weil potenziell peinliche Angelegenheit: Welches Lied sollte die junge Bundesrepublik im Ausland symbolisieren? Was sollte die zukünftige Nationalhymne sein?
Theodor Heuss hatte bei Rudolf Alexander Schröder einen neuen Hymnentext in Auftrag gegeben und ließ durch sein Amt erklären, dass diese Frage zu seiner Prärogative gehöre und noch nicht entschieden sei. Im Herbst liegt der Entwurf vor. Der religiös orientierte Schriftsteller hatte sich durch den 1. Korinther-Brief anregen lassen und gab seiner Hymne an Deutschland eine nur sehr schwache politische Färbung: „Land des Glaubens, deutsches Land / Land der Väter und der Erben…“. Aber die Premiere missglückte. Kritisiert wurde, dass die Hymne keinen Nationalstolz verströme, mehr einem Kirchenlied gleiche. Der Begriff von „Theos Nachtlied“ machte die Runde. Der Hymnenstreit war entschieden. Die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen wünschte die Wiedereinführung des Deutschlandliedes, nur die dritte Strophe sollte gesungen werden. Die Bundesrepublik schloss sich an die Weimarer Tradition an.
Theodor Heuss starb am 12. Dezember 1963 im Alter von 79 Jahren in Stuttgart.
Er hat es als „eine seiner wichtigsten Aufgaben angesehen, nach dem Holocaust wieder an die besten kulturellen und geistigen Traditionen Deutschlands anzuknüpfen“ (Frank-Walter Steinmeier, 12.09.2019, Festakt in Stuttgart).