Die EU wird uns einen super Deal geben, es wird uns hinterher besser gehen. Eben das war die Natur des populistischen Kreuzzugs, genannt Brexit: Lügen, Verführung, Muskelspiele. Das rächt sich nun.
Weil das Kalkül nicht aufging, droht Premier Boris Johnson mit No Deal. Dass der Crash am 31. Oktober kommt, wird immer wahrscheinlicher, und die Rhetorik, mit der die neue Tory-Regierung das Land überzieht, wird immer martialischer und orwellhafter. Letzte Woche tagte gar das „Kriegskabinett“, das den vertragslosen EU-Ausstieg vorbereiten soll.
Die Wirtschaftsministerin lud Unternehmer, die den Brexit „begrüßen“ sollen, zu einem „optimistischen“ Gespräch. Der Finanzminister gab Milliarden Pfund für die Vorbereitungen frei, mit denen, unter anderem, die „größte Informationskampagne seit dem Krieg“ (dpa) finanziert werden soll. Ein Not-Haushalt im Herbst wird nicht ausgeschlossen.
Der neue britische Premierminister Johnson will die EU Ende Oktober verlassen – notfalls auch ohne Scheidungsabkommen. Das dürfte die Wirtschaft schwer belasten. Das Pfund fiel zuletzt schon auf den niedrigsten Stand seit 30 Monaten. Im britischen Parlament gab es bislang keine Mehrheit für einen No-Deal-Brexit. Einige Parlamentarier aus Johnsons konservativer Partei haben signalisiert, im Zweifel gegen den Premierminister zu stimmen, um einen Chaos-Brexit zu verhindern.
Die EU-Kommission hat den ausgehandelten Austrittsvertrag mit Großbritannien als „bestmöglichen“ (reuters.com) Deal bezeichnet und Nachverhandlungen ausgeschlossen.
Ein Brexit ohne Deal dürfte die britische Wirtschaft schwer belasten, hätte angesichts der engen Wirtschaftsbeziehungen zu dem bisherigen EU-Land aber auch Auswirkungen auf den Kontinent. Wohl aus diesem Grund hatte das britische Parlament einen No-Deal-Brexit abgelehnt.
Boris Johnson trommelt mit allen Mitteln für einen EU-Austritt ohne Vertrag. Doch die Kampagne geht nach hinten los. Vielen Briten wird jetzt erst bewusst, was der Brexit sie wirklich kostet.
Denn zusammen mit den blumigen Versprechen für eine gloriose Zukunft und der kriegerischen Sprache werden, wiewohl ungewollt, Informationen mitgeliefert, die das Bild vom „easy peasy“ (sueddeutsche.de) Brexit plötzlich trüben.
Farmer in Wales, die 2016 die „Kontrolle zurück haben“ wollten, wie der Slogan der Leave-Kampagne lautete, werden nervös. Zum ersten Mal realisieren die Schafzüchter, dass ihnen ein riesiger Markt wegbrechen, dafür aber hohe Zölle ins Haus stehen könnten. Zum ersten Mal wird den Bauern klar, dass die Subventionen vermutlich nicht, oder nur kurzfristig, von London übernommen werden. Sie lernen: Es geht um ihr Geld, um Existenzen.
Plötzlich wird im Königreich diskutiert, wie hoch der Preis wäre, wenn es zum äußersten käme. Bisher war das eine vage Möglichkeit, jetzt wird es realer. Und die Angst wächst.
Es war der Traum, Großbritannien zu alter Größe zurückzuführen, genährt von der Erinnerung an die vermeintlich guten Zeiten, als die Kolonialmacht die halbe Welt beherrschte. Und mit dem Slogan von „Global Britain“ (welt.de), das an die Stelle der Mitgliedschaft in der EU folgen sollte, appellierten viele konservative Politiker genau an diese Sehnsucht.
Der Traum ist geplatzt. Jetzt kommt der Knaller: In diesem Jahr wird die indische Volkswirtschaft aller Voraussicht nach die britische abhängen – ausgerechnet eine einstige Kolonie überrundet damit die frühere Kolonialmacht, die damit in der Liste der größten Volkswirtschaften einen weiteren Platz absteigt (focus.de). Das wirft ein Licht auf die wahren Kräfteverhältnisse in der Welt, eine Welt, in der Großbritannien allein um seinen Platz kämpfen muss.
In Wales, Nordirland und Schottland wächst der Widerstand gegen den Bexit. In Schottland wurde bereits vor einiger Zeit der Satz geprägt, schlimmer als aus Brüssel regiert zu werden sei aus London.
Wird die Queen nach einem harten Brexit einen Teil ihrer Untertanen verlieren, weil die Schotten, Nordiren oder Waliser unabhängige Staaten anstreben? Diese Frage ist im Moment schwer zu beantworten.
„Die Mehrheiten für diese Entwicklung sind am Horizont noch nicht sichtbar, aber nach einem harten Brexit ist sicherlich alles im Fluss. Die Dynamik wächst“ (Katy Hayward, Soziologin an der Queen’s University in Belfast/Nordirland gegenüber dem Sender France 24).