Neue Regierung, neue Forderungen! Der alte Zankapfel zwischen Griechenland und Deutschland: die Reparationsforderungen.
Ein Bundestagsgutachten zu den griechischen Forderungen nach Reparationen für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg kommt zu dem Schluss, dass die Haltung der deutschen Regierung, alle Zahlungen abzulehnen, zwar „völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend“ sei. Das im Auftrag der Linken erstellte Gutachten empfiehlt Berlin den Gang zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag, um Rechtsklarheit zu schaffen. Zu diesem Schritt müsste sich die Regierung aber freiwillig bereit erklären, weil der Streitfall mehr als 70 Jahre zurückliegt. Athen hatte Berlin Anfang Juni offiziell mit einer diplomatischen Note zu Verhandlungen aufgefordert. Eine griechische Kommission hat die Summe der von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf 290 Milliarden Euro geschätzt. Offen ist, wie sich die neue konservative Regierung hier verhalten wird. Premier Kyriakos Mitsotakis will im August zu einem ersten offiziellen Besuch nach Berlin reisen.
Es ist nun nicht so, dass Deutschland gegenüber Griechenland nichts geleistet hätte. Da ist zum einen das Pariser Abkommen von 1946, in dem die westlichen Alliierten sich auf Grundzüge der Reparationen geeinigt hatten. Aus diesem Topf erhielt Griechenland deutsche industrielle Güter im Wert von 25 Millionen Dollar (heute gut 300 Millionen Dollar). Dazu kam ein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und Griechenland aus dem Jahr 1960, in dem sich Berlin zur Zahlung von 115 Millionen D-Mark (zum heutigen Wert rund 260 Millionen Euro) an Griechen verpflichtete, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden waren.
Doch das war aus griechischer Sicht keine umfassende Lösung. Griechenland gehörte auch zu den Vertragsstaaten des Londoner Abkommens über deutsche Auslandsschulden von 1953. Darin hieß es, dass man die Frage der Reparationszahlungen so lange zurückstelle, bis es einen Friedensvertrag gebe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zunächst nur eine bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Wegen der Teilung Europas kam es dann zu keinem eigentlichen Friedensvertrag. Dies änderte sich mit dem Zwei-plus-vier-Abkommen über die deutsche Wiedervereinigung 1990. Dieses war einerseits von der BRD und der DDR, anderseits von den USA, der Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien unterschrieben worden. Es regelte anstelle eines Friedensvertrags alle Fragen der Vergangenheit bezüglich Deutschland. Und dazu zählt die deutsche Regierung auch diejenige der Reparationen.
Griechenland war zwar nicht am Zwei-plus-vier-Vertrag beteiligt, doch unterzeichnete es mit anderen Staaten 1990 die Charta von Paris für ein neues Europa. Darin heißt es im Kapitel zur deutschen Einheit: „Wir nehmen mit großer Genugtuung Kenntnis von dem Zwei-plus-vier-Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“. Aus diesem Passus leitet Berlin ab, dass Griechenland stillschweigend auf weitere Reparationen verzichtet habe.
Pikant ist eine Aussage des früheren Bundeskanzlers Ludwig Erhard aus dem Jahr 1965. Damals soll er der griechischen Regierung in Aussicht gestellt haben, eine „Zwangsanleihe“ zurückzuzahlen (nzz.ch), sobald die deutsche Wiedervereinigung unter Dach und Fach sei. Die „Zwangsanleihe“ hatte das Deutsche Reich Griechenland 1942 auferlegt, um die Besatzungskosten zu finanzieren. Bei Kriegsende betrug die Restschuld 476 Millionen Reichsmark, was laut einer Berechnung aus dem Jahr 2012 rund 8,25 Milliarden Dollar entsprechen würde.
Wie bereits erwähnt: Der Wissenschaftliche Dienst empfiehlt: „Rechtsklarheit ließe sich dadurch erreichen, dass der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag über eine entsprechende Klage entscheidet – zu einem solchen Verfahren könnte es aber nur dann kommen, wenn sich die Bundesregierung der IGH-Gerichtsbarkeit ad hoc freiwillig unterwerfen würde, weil der Sachverhalt vor der im Jahre 2008 getätigten generellen Unterwerfungserklärung Deutschlands liegt, die ausdrücklich erst ab dem Datum der Erklärung Wirkung entfaltet“.
Versuche Hinterbliebener griechischer Kriegsopfer, vor den Gerichten individuelle Entschädigungen zu erstreiten, hatten bisher keinen Erfolg. Zehntausende Klagen griechischer Geschädigter vor deutschen Gerichten wurden in den 1990er Jahren abgewiesen (handelsblatt.com 18.04.2019).
Wie wird sich die neue griechische Regierung positionieren?!