Emmanuel Macron, einst „europäischer Wonderboy“ (welt.de), inzwischen angeschlagener Präsident der Franzosen, versucht sich in politischer Alchemie: Aus einer Krise will Frankreichs Präsident jetzt eine Chance machen. Am Ende seines lang angekündigten und am Sonntagabend veröffentlichten Briefes an die Franzosen kündigt Macron an, „Wut in Lösungen“ verwandeln zu wollen.
Das klingt, als habe sich Frankreichs Präsident die schöne Formel zu eigen gemacht, dass dort, wo Gefahr ist, logischerweise auch das Rettende wächst (Friedrich Hölderlin).
Als Antwort auf die mehr als fünfmonatigen Sozialproteste der Gelbwesten hat Frankreichs Präsident Steuersenkungen und Entlastungen für Rentner angekündigt. Er werde die Einkommensteuer „deutlich“ senken, sagte Macron in seiner kämpferischen Rede.
Von der Einkommensteuer-Senkung soll nach den Worten des Staatschefs vor allem die Mittelschicht profitieren, aus der viele seiner Wähler stammen. Er deutete auch eine mögliche Rückkehr zur Vermögensteuer an, die seine Regierung weitgehend abgeschafft hatte. Die Maßnahme werde im kommenden Jahr überprüft, so der Elysée-Palast. Die Protestbewegung wirft ihm vor, „Präsident der Reichen“ zu sein.
Die Proteste nehmen kein Ende. Seit dem 17. November 2018 gehen in Frankreich samstags Menschen in gelben Westen auf die Straße. Die landesweit organisierten Proteste der Gelbwesten (gilets jaunes) richteten sich anfangs gegen eine von Präsident Macron geplante höhere Besteuerung von fossilen Brennstoffen. Rasch mündeten sie in eine Liste mit 42 Forderungen. Von ihrem Präsidenten verlangen die Gelbwesten einerseits, „alle Steuern“ zu senken, den Mindestlohn und die Renten anzuheben, andererseits die 2018 abgeschaffte Vermögenssteuer wieder einzuführen. Ein Großteil der Forderungen der Gelbwesten steht im Einklang mit den Wahlversprechen, die Macron während des Wahlkampfes 2017 gemacht hat: weniger Steuern, mehr Kaufkraft, mehr Demokratie. Die Proteste werden von der unteren ländlichen Mittelschicht, darunter Handwerker, Ladenbesitzer, getragen. Diese Menschen können von ihrer Arbeit kaum mehr leben und haben Angst zu verarmen. In der Politik, so meinen die Gelbwesten, hätten sie keine Stimme. Die Unterstützung der Gewerkschaften und der Parteien der politischen Linken, die solche Forderungen bislang kanalisiert haben, lehnen sie ab. Politik, so ihre Forderung, solle im Interesse der „einfachen Bevölkerung“ und durch sie gemacht werden. Mehr politische Mitsprache solle etwa dadurch entstehen, dass Bürger- oder Volksinitiativen Referenden (référendum d’initiative citoyenne) einleiten dürfen.
Viele von Macrons Ankündigungen waren seit Tagen bekannt, nachdem er aufgrund des Brands von Notre-Dame seine für den selben Tag geplante Fernsehansprache abgesagt hatte. Sein Redemanuskript war da aber schon öffentlich.
Seither diskutiert Frankreich über die geplanten Vorschläge, am heftigsten über die geplante Auflösung der Elitehochschule ENA und das Fehlen einer ehrgeizigen Klimapolitik. Macrons ehemaliger Umweltminister Nicolas Hulot warnte in einem Interview am Wochenende eindringlich, man müsse jetzt entschiedener vorgehen, dies sei eine Frage des „Überlebens“ .
„Wir sind ein Land, das viele Dinge von seinem Präsidenten erwartet“, sagte Macron am Schluss. Das habe er zwischendurch etwas vergessen. Aber er werde nicht jemand werden, der versuche zu gefallen. Auf die Frage, ob er 2022 noch einmal kandidiere, wollte er nicht antworten. Er pfeife auf die nächste Wahl, wolle jetzt dieses Mandat erfolgreich hinter sich bringen (SPON).
Macron hat erkannt, dass es nicht funktioniert, die Gelbwesten einfach auszusitzen, weil sie so anders sind als er und seine Parlamentarier. Nicht einmal Sprecherinnen oder Sprecher akzeptieren die Demonstrierenden, weil sie keine Hierarchien wollen. Für eine Regierung, die sonst mit den Chefs von Gewerkschaften oder Bauernverbänden verhandelt, ist es extrem schwierig, die Stimmung einer diffusen Gruppe zu drehen. Vor allem, weil inzwischen rund 80 Prozent der Franzosen für die Proteste sind, selbst wenn sie ihnen den Weg zur Arbeit versperren. Daher muss Macron nun mehr von seiner Politik revidieren als anfänglich nur die Benzinsteuer.