Wladimir Putins Gesicht prangte auf Wahlplakaten von Poroschenko. Die Botschaft: Nur der amtierende Präsident könne das Land vor Putin beschützen. Ukrainische Publizisten, Politikexperten und Journalisten veröffentlichten Analysen, wer von den beiden Kandidaten in der Stichwahl am Ostersonntag für Putin der leichtere Gegner sei. Und wen der Kreml deswegen direkt oder indirekt unterstützen könnte. Beim TV-Duell im Kiewer Olympiastadion warfen sich Poroschenko und Selenskyj gegenseitig vor, insgeheim gute Kontakte nach Moskau zu pflegen.

Akribisch dokumentierten Medien jeden Schritt und jede Äußerung des Amtsinhabers Petro Poroschenko und seines Herausforderers Wolodymyr Selenskyj. Nicht etwa, weil es der Kreml so will, sondern weil die Nachrichten aus der Ukraine Klicks und Zuschauer bringen. Zumal der russische Präsident dieser Tage in der Ukraine allgegenwärtig scheint, wenn auch nicht persönlich.

Die Wahllokale haben um acht Uhr morgens geöffnet und schließen am Abend um 20 Uhr. Wahlberechtigt sind nach Angaben der Behörden 35,6 Millionen Menschen. Auf der von Russland annektierten Krim und im Donbass, den von Moskau unterstützte Kämpfer kontrollieren, wird nicht gewählt. Mit Prognosen wird am Sonntagabend gerechnet, mit ersten Ergebnissen nachts (SPON).

Entscheidend wird sein, wie sich die Wähler der anderen Kandidaten verhalten, die nach dem ersten Wahlgang ausgeschieden sind. 20 Prozent gaben zuletzt an, noch nicht zu wissen, ob und für wen sie wählen wollen. Immerhin traten in der ersten Runde 39 Wettbewerber an, so viel wie noch nie – was insgesamt ein gutes Zeichen für die Demokratie in der Ukraine ist.

Im Ausland ist man sich nicht einig, wer der bessere Kandidat ist, wenn man unterstützen soll. Wie Poroschenko wurde Selenski auch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfangen, bekam allerdings keine Einladung zu Angela Merkel. Die Kanzlerin empfing öffentlich nur den Staatschef, was auch der Koalitionspartner SPD als falsche, einseitige Parteinahme Merkels kritisierte (handelsblatt.com).

Am heutigen Sonntag stehen die Ukrainer nun vor einer Richtungsentscheidung. Wem trauen sie die Führung ihres Landes mehr zu, dem Amtsinhaber Poroschenko, der wegen Korruptionsvorwürfen an Beliebtheit eingebüßt hat? Oder doch dem politisch unerfahrenen Satiriker Selenski, der für einen Neuanfang steht – wenngleich ins Ungewisse?

Selenski bezeichnete sich selbst als das „Ergebnis unerfüllter Versprechungen“ und warf dem Amtsinhaber vor, ein „Wolf im Schafspelz“ zu sein, der sich während seiner Amtszeit bereichert habe auf Kosten einer ohnehin schon armen Bevölkerung.

Der amtierende Präsident wiederum warf Selenski Lügen vor und diskreditierte ihn wegen seines vagen Programms und seiner fehlenden politischen Erfahrung. Wie solle denn so einer die Ukraine vor den russischen Aggressionen schützen (welt.de)?

Nach fünf Jahren unter Poroschenko sind die meisten Ukrainer unzufrieden mit der Bilanz ihres Präsidenten. Und das obwohl er für sie die visafreie Einreise in die Europäische Union erkämpft hat. Doch steigende Lebenshaltungskosten und sein wenig entschlossener Kampf gegen Korruption kosteten Poroschenko Sympathien bei den Wählern.

Die Zeichen in der Ukraine stehen also auf Erneuerung. Die Frage bleibt nur – wohin will Selenski das Land führen? Tatsächlich entbehren die harten Vorwürfe Poroschenkos nicht jeder Grundlage.

Allen Umfragen zufolge liegt Selenski in der Wählergunst weit vor Amtsinhaber Petro Poroschenko. Und das hat aus Sicht des Politologen Wladimir Fessenko mehr als einen Grund: „In der Stichwahl stimmt bei uns eine Mehrheit der Wähler nicht für, sondern gegen einen Kandidaten“ (tagesschau.de), sagt er.

Selenskyj könnte also all jene Protestwähler hinter sich scharen, die grundsätzlich mit der politischen Elite brechen wollen, die seit Jahren die Geschicke des Landes bestimmt. Und diejenigen, die vom früheren Hoffnungsträger Poroschenko und seiner Politik enttäuscht sind.

Eine organisierte politische Kraft aus der Zivilgesellschaft, die fähig wäre, die alte, diskreditierte Politikerkaste abzulösen, ist weiterhin nicht in Sicht.

So angebracht Misstrauen gegenüber der aktuellen Regierung in Kiew ist – bis auf Weiteres dürfte sie mangels besserer Alternativen das kleinste Übel sein. Zumal im Vorfeld der Wahlen massive Desinformationskampagnen und Destabilisierungsaktionen vonseiten des Kremls stattfanden, der in Kiew nur zu gerne eine ihm hörige Führung installieren würde.

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