Im Westjordanland spricht kaum jemand von einem palästinensischen Staat. Vor der israelischen Wahl war es so, dass die Zweistaatenlösung zwar künstlich beatmet wird, aber sie lebte noch (Mustafa Barghouti, Mitglied im Zentralrat der PLO in SPON, 12.04.2019). Doch nun ist sie tot. Wenn Netanyahu die Grenzlinien verletzt, ist eine Eskalation des Palästinenserkonfliktes vorprogrammiert.
Viele Palästinenser wollen mittlerweile einen einzigen Staat. Zwei Staaten sind keine Option mehr. Die Wahl ist jetzt zwischen einem israelischen Apartheidstaat und einem Staat mit gleichen Rechten für Israelis und Palästinenser. Allerdings würde Letzteres wohl das Ende von Israel als jüdischem demokratischen Staat bedeuten und sein Existenzrecht infrage stellen.
Nur wenige Tage vor der Parlamentswahl in Israel hat Regierungschef Benjamin Netanjahu die Annektierung jüdischer Siedlungen im Westjordanland in Aussicht gestellt. Er werde nicht eine einzige Siedlung räumen. Und Israel werde natürlich dafür sorgen, dass man das Gebiet westlich des Jordans kontrolliere, so der rechtskonservative Ministerpräsident am Samstagabend im israelischen Fernsehen.
Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler in mehr als 200 Siedlungen. Vor allem Israels Erziehungsminister Naftali Bennett dringt darauf, weite Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete indes für einen eigenen Staat Palästina mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.
Betrachtet aus palästinensischer Sicht wird Israel das Völkerrecht weiterhin so lange brechen, wie die internationale Gemeinschaft dem Land Straflosigkeit gewährleistet. Das gelte besonders für die Trump-Regierung, die Israels Verletzung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes unterstütze (sueddeutsche.de).
Israel unterscheidet selbst zwischen illegalen Siedlungen und mit israelischer Genehmigung gebauten. Aus Sicht der internationalen Gemeinschaft sind alle Siedlungen rechtswidrig. Sollte Israel sie annektieren, wäre dies ein schwerer Schlag für Bemühungen um eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung.
In den letzten Jahren ist Israel unter der Regierung von Benjamin Netanjahu immer weiter nach rechts gedriftet, mit Unterstützung der USA. Mit der Ankündigung, im Falle seines Wahlsieges Teile des Westjordanlandes zu annektieren, fischte Netanjahu nach Wählern vom rechten Rand (Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler).
Israel ist um seine Sicherheit besorgt. Wird man in der Lage sein, die israelische Sicherheit zu gewährleisten und die Kontrolle über das essenziell wichtige Gebiet von Judäa und Samaria? Israel habe gesehen, was man nach dem Abzug aus dem Gazastreifen bekommen habe, so Netanjahu (diepresse.com, 07.04.2019). Im Fall eines weiteren Abzugs sei ein „Gazastreifen in Judäa und Samaria“ zu befürchten. Israel hat den Gazastreifen 2005 geräumt, 2007 übernahm dort die radikalislamische Hamas gewaltsam die Kontrolle.
Die US-amerikanische Anerkennung der Annexion der Golanhöhen sieht Netanjahu als sein Verdienst an – ebenso wie die zugesagte Umsiedlung der US-Botschaft aus Tel Aviv in die – international nicht anerkannte – israelische Hauptstadt Jerusalem. Nach den Golanhöhen wolle man nun „zur nächste Phase übergehen“ und die israelische Souveränität auch auf das Westjordanland ausweiten, so Netanjahu (a.a.O.).
Die meisten arabischen Staaten sind mit Israel verfeindet und erkennen den israelischen Staat nicht an. Zuletzt hatte es hinter den Kulissen aber eine Annäherung zwischen Israel und einigen Golfstaaten wie Saudi-Arabien gegeben.
Das Vorhaben Israels ist ein fatales Signal für den Friedensprozess in Nahost. Für innenpolitischen Nutzen nahm Netanjahu diplomatischen Schaden schon immer in Kauf. Das gilt für die umstrittene Anerkennung der besetzten Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet durch die US-Regierung oder die Verlegung ihrer Botschaft nach Jerusalem. Die Annexion der Siedlungsgebiete – möglicherweise erneut mit Unterstützung durch die USA – wäre eine maximale Provokation.
Die könnte Israel sehr gefährlich werden. Die radikalislamische Hamas im Gaza-Streifen ist geschwächt, die Bevölkerung entdeckt derzeit den Protest gegen sie. Auch die Hamas muss Stärke demonstrieren – das tut sie bevorzugt mit Raketen auf israelisches Staatsgebiet. Diese Provokation wäre ein Anlass dazu.
Zudem riskiert Netanjahu, einen starken Verbündeten in der arabischen Welt zu verlieren. Er braucht Saudi-Arabien!