Man liest öfter, dass es mit Angela Merkels Kanzlerschaft langsam dem Ende zugeht. Sie hat in Gestalt von Volker Kauder einen wichtigen Partner verloren, wirkt kraftlos. Ende einer Ära?
Denken wir mal an Helmut Kohl: Er war Merkels Lehrmeister!
Die Bundeskanzlerin hat ihr eigenes politisches Ende auf dieselbe unnachahmliche Art eingeleitet, wie sie jeden Paradigmenwechsel herbeigewartet hat. So hat Angela Merkel schon immer Politik gemacht: Entscheidungen werden aus der Macht der Not heraus geboren und auf dem Sprung nach vorn gleich noch ein paar eigene Grundsätze, die nicht mehr zu den Gegebenheiten passen, über den Haufen geworfen. So war es mit der Kopfpauschale, dem Atomausstieg, der Wehrpflicht und der Ehe für alle.
Jetzt konnte und wollte Merkel nach der verlorenen Landtagswahl in Hessen ihren Rückzug von der CDU-Spitze nicht länger aufschieben. Denn eigentlich hatte sie lange gesagt, sie wolle im Dezember auf dem Parteitag noch mal antreten und zwei weitere Jahre CDU-Chefin bleiben. Und dass Kanzleramt und Parteichef für sie zusammengehören, galt als Dogma. Jetzt hat Merkel die Souveränin gegeben, wahrscheinlich ein letztes Mal. Wäre sie viel länger geblieben, wäre mit jedem Tag die Gestaltungsmacht am eigenen Abgang geschwunden. Selbst wenn sie nur bis zur Klausur des Parteivorstands am Wochenende gewartet hätte – sie hätte ihre Autonomie verloren. Ganz unsentimental hat sie jetzt eine dialektische Entscheidung getroffen, die Macht an der Parteispitze abgeben, um Macht im Kanzleramt zu behalten (zeit.de).
Als „einmalig würdevollen Vorgang“ (nzz.ch) haben die Kommentatoren vorgestern die Ankündigung von Angela Merkel bezeichnet, im Dezember vom CDU-Parteivorsitz und spätestens 2021 als Bundeskanzlerin zurückzutreten. Als langgezogenen und schmerzhaften Niedergang könnte man den Prozess aber auch charakterisieren. Jahrelang war ihr das Etikett der mächtigsten Frau der Welt angeheftet worden. Ende 2016 hatte der amerikanische Präsident Barack Obama in Europa auf seiner Abschiedstournee noch versucht, sie als die letzte verbliebene Hüterin der freien westlichen Welt in die Pflicht zu nehmen. Doch tatsächlich befinden sich Merkels Macht und Autorität im Niedergang, seit sie sich im November 2016 nach langem Ringen entschlossen hatte, für eine weitere Kanzlerschaft zu kandidieren. Dass sie jetzt feste Daten für ihren definitiven Rückzug von der politischen Bühne veröffentlicht hat, ist deshalb nur folgerichtig.
Der Verzicht auf das Parteiamt ist ein Blitzableiter. An der neuen Person an der Parteispitze und an den Kämpfen um die nächste Kanzlerkandidatur sollen sich in den kommenden Jahren die Medien und die politische Konkurrenz innerhalb und außerhalb der Partei abarbeiten, während die „Grand Old Lady“ im Kanzleramt drei Jahre lang weiter die Fäden zieht.
Kritisch betrachtet: Ist es denn jetzt der richtige Moment? Wohl ja!
Bei Angela Merkel ist es aber kein richtiger Rücktritt, sondern nur ein Rückzug. Sie hat mehr oder minder erklärt, dass sie im Dezember beim Parteitag nicht wieder antreten wird – übrigens etwas, was man aus der SPD schon gut kennt.
Ein guter Rücktritt ist selbstbestimmt, viele Rücktritte sind es nicht. Was, besser „wer“, kommt danach?
Friedrich Merz könnte durch seine konservative „Strahlkraft“ (faz,net) jene CDU-Anhänger, die durch Merkels umarmenden Kurs links der Mitte enttäuscht zur AfD abwanderten, wieder zur Union zurückholen. Das gilt auch für enttäuschte Wirtschaftsliberale, die Lindners „Aufbruch“ in die FDP zog, für die eine Merz-CDU jetzt aber wieder das deutlich attraktivere Angebot sein könnte. Für die parteiinternen Konkurrenten um den Parteivorsitz wie Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn ist Merz‘ Kandidatur schon deshalb ein empfindlicher Schlag. Trotzdem scheint offen, wer der drei Kandidaten sich auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg durchsetzen wird.
Für den Fall, dass die Bundeskanzlerin zurücktritt, schlägt der Bundespräsident dem Bundestag einen Nachfolger zur Wahl vor, der die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigen muss. Artikel 63 Grundgesetz regelt das Verfahren: