Blendet man zurück in die Renaissance und Reformation, zeigt man die tiefen Verwerfungen auf, die sich in den französischen Religionskriegen und dann im Dreißigjährigen Krieg mit seinen Abermillionen Opfern gleich Erdbeben entluden. Noch immer wussten sich die Menschen in einem fest gefügten Kosmos aus Strafe und Gnade aufgehoben. Natur und Geschichte, „lesbar wie Bücher“ (Hans Blumenberg).

„C/1618 W1“ war der Komet, der im Winter 1618 drohend am Himmel stand, quasi als Zeichen Gottes. Verhieß er nicht drohende Züchtigung durch den Herrn?! Die Kriegsereignisse lassen sich jedenfalls in diese Zusammenhänge rücken. Ein Sieg kommt einer Aufforderung gleich, weiterzumachen; eine Niederlage mag als Prüfung erscheinen mit dem Hinweis, es das nächste Mal besser anzugehen. Nicht zuletzt war es diese Logik, die den Krieg zu einem dreißigjährigen werden ließ.

Ein reiner Glaubenskampf war dieser Krieg nicht. Vor rund 25 Jahren vertrat ein Augsburger Wissenschaftler die These, bei dem Krieg habe es sich um eine Auseinandersetzung gehandelt, die zwecks Etablierung des souveränen Staates geführt worden sei – gegen die Macht von Adel und Ständen, ebenso wie gegen allen Universalismus (Johannes Burkhardt). Man muss es aus der Wirklichkeit des 17. Jahrhunderts sehen: Mit Ausnahme von Spanien haben die beteiligten Mächte ihr Ziel erreicht, nämlich den Machtausbau der Habsburger zu stoppen (Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse 2018).

Damals, vor 400 Jahren, wurde eine Entwicklung angestoßen, mit deren Folgen wir heute noch leben.

Der Zusammenbruch aller Ordnung vor 400 Jahren führte zu extremer Staatsgläubigkeit – mit weitreichenden Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und das ökonomische Denken, unter anderem in Deutschland.

Die Gewalt, unter der derzeit der Nahe Osten und Nordafrika leiden: Gehen wir auf einen neuen Dreißigjährigen Krieg zu? Bricht das System souveräner Staaten zusammen, das gerade nach Ende des Krieges im Westfälischen Frieden geschaffen wurde? Dabei ging und geht es auch um Wirtschaft. Zwar wurde der Krieg zwischen Katholiken und Protestanten um den „rechten Glauben“ und die Macht von Dynastien geführt. Die Folgen des Gemetzels hatten aber für die Wirtschaft und das ökonomische Denken eine kaum zu überschätzende Bedeutung (sueddeutsche.de 29.12.2017).

Kann also der Westfälische Friede als Vorbild für einen ähnlichen Vertrag für den heutigen Nahen Osten dienen? Eine klare Möglichkeit der Antwort gibt es nicht. Das Kriegsgebiet, das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, ist kein gescheiterter Staat gewesen. Man hat zu dessen alter Verfassungsordnung – modifiziert und mit einer internationalen Garantie versehen – zurückkehren können. Zudem hat der damalige Frieden auf heute undenkbaren Prinzipien beruht. Nicht nur waren alle Parteien am Aushandeln des Friedens beteiligt, es wurde auch eine Amnestie und immerwährendes Vergessen garantiert (Georg Schmidt). Unter dem Aspekt „Vergangenheitsbewältigung“: Wer würde heute eine solche Urkunde unterschreiben?!

Der 1648 erreichte Konsens wäre ohne die Erfahrung, dass sich Drohungen mit Gott als Sanktionsmittel und die Kriegsziele in überlanger Leidenszeit verbrauchen, kaum denkbar gewesen. Man kann zweifeln, ob genau diese Erfahrung schon in das Bewusstsein der Protagonisten im heutigen Nahen Osten gerückt ist.

Geschichte wiederholt sich nicht. Menschen pflegen selten das aus ihr zu lernen, was sie lehren könnte.

Eine gesamteuropäische Vision, die auf das Gemeinsame statt auf das Trennende aufbaut, ist heute wichtiger denn je. Gerade jetzt, da die Fliehkräfte innerhalb der Union stärker werden: Brexit, europaskeptische Populisten oder solche EU-Mitglieder, denen Verträge und Werte lästig werden, verengen die Spielräume für gemeinschaftliches, europäisches Handeln.

Deshalb kann Europa nur im Zusammenspiel seiner Mitglieder einen erfolgreichen Kurs fahren. Wer in diesen Tagen die Europäer an den Prager Fenstersturz von 1618 und seine Folgen erinnert, wird zugleich mahnen müssen: Uns bleiben wahrscheinlich keine 30 Jahre, die aktuellen Herausforderungen in ein System von Recht und Frieden zu überführen.

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