Mehr als 100.000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter einer Anti-Brexit-Demonstration diesen Samstag in London. Die Kampagne „People’s Vote“ fordert ein zweites Referendum zum EU-Austritt.
Die Bürger sollen demnach das Recht erhalten, über ein finales Abkommen abzustimmen. Die Teilnehmer des Protestzuges versammeln sich im Zentrum der britischen Hauptstadt und wollen vor das Parlament ziehen.
Bei einem Referendum im Juni 2016 hatte eine knappe Mehrheit (52 Prozent) der Briten für den Brexit gestimmt. Großbritannien will Ende März 2019 die Europäische Union verlassen; die Verhandlungen mit Brüssel stocken aber.
Bereits im Juni hatte „Peoples Vote“ einen ähnlichen Marsch mit Zehntausenden Teilnehmern veranstaltet. Die Organisation setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammen. An der jetzigen Veranstaltung sollen auch EU-freundliche Abgeordnete der regierenden Konservativen wie Anna Soubry und Londons Bürgermeister Sadiq Khan von der oppositionellen Labour-Partei teilnehmen.
Beim Referendum 2016 sei der EU-Austritt als „einfachster Deal in der Geschichte“ verkauft worden, teilten die Veranstalter mit. Inzwischen wisse man, welche Kosten der Brexit verursache und welchen Einfluss er etwa auf das Gesundheitssystem und die Arbeitnehmerrechte habe.
Es war ein Kreuz für oder gegen etwas völlig Nebulöses, das die Briten am 23. Juni 2016 machen sollten: ein Austritt aus der EU – niemand wusste wirklich, was dies bedeutete. Unabhängigkeit und Selbstbestimmung waren die populistischen Verheißungen.
Gut zwei Jahre später sind Politikern und Bürgern jetzt die Konsequenzen klarer. Ein „weicher Brexit“, bei dem Großbritannien im europäischen Binnenmarkt bliebe, ist vom Tisch (handelsblatt.com).
Beim Brexit-Referendum 2.0 ginge es ganz fokussiert darum, ob die Briten den vor zwei Jahren gewollten Brexit unter den vorliegenden Bedingungen immer noch für den richtigen Weg halten.
So war es auch 1975, als die Briten in einer Volksabstimmung für den EU-Beitritt votierten und damit die Ergebnisse von Nachverhandlungen ihres Labour-Premiers Harold Wilson stützten. Wer sein Volk für mündig und informiert genug hält, die Grundsatzentscheidung über einen EU-Austritt zu fällen, der sollte ihm auch die Kompetenz geben, das verhandelte Ergebnis zu bewerten. Weder parteipolitisches Kalkül noch die Angst, die Rechnung für zwei Jahre schlechte Verhandlungen zu bekommen, sollten diesem Votum entgegenstehen.
Die Briten würden Umfragen zufolge in einem neuen Referendum nicht mehr für den Brexit stimmen. Eine Auswertung von sechs seit dem 21. August gemachten Erhebungen ergab eine knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent für einen Verbleib in der EU. 2016 hatte eine knappe Mehrheit für den Austritt gestimmt. Der Vorsprung der Brexit-Gegner beruht laut Forschern vor allem auf den Stimmen derjenigen, die 2016 gar nicht gewählt hatten (derstandard.at 28.09.2018).
Die Stimmung vieler Briten wird schlechter: Der Arbeitsmarkt ist zwar noch stabil, aber das Wirtschaftswachstum und das Pfund schwächeln seit dem ersten Referendum. Nicht in dem Maße, wie seinerzeit prophezeit, aber die Verschlechterung ist Tatsache. Nicht zuletzt sinken die Investitionen in Großbritannien. Auslandsinvestoren kehren der Insel den Rücken und suchen Anlagemöglichkeiten auf dem Kontinent, unter anderem in Deutschland (rp-online.de 25.07.2018).
Hauptstreitpunkt in den Verhandlungen über den Brexit ist nach wie vor die Frage der künftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland. Auch beim EU-Gipfel am Donnerstag konnte das Problem nicht aus dem Weg gelöst werden. Dennoch äußerten sich nach Gipfel-Ende neben Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auch die britische Premierministerin Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel optimistisch, dass sich die EU mit dem Königreich noch auf einen Austrittsvertrag einigen kann.
Wir werden sehen …