„Deutschland geht es gut und Bayern ein bisschen besser“, hat Markus Söder noch vor zwei Wochen lautstark betont, als ihm die Kanzlerin auf den letzten Metern doch noch Wahlkampfhilfe zugestand. In der Tat, die Arbeitslosenquote in Bayern ist so niedrig wie selten, die bayerische Wirtschaft boomt und das Oktoberfest lockte gerade wieder Millionen Menschen an bayerische Biertische. Bayern geht es gut, der CSU dagegen so schlecht wie nie seit 1950 und das klingt fast wie ein Paradoxon. Die Volkspartei, als solche am Erfolg des Bundeslands nicht ganz unbeteiligt, steckt in einer historischen Krise und Schuld daran ist auch das überholte Bayern-Bild, an dem die CSU beharrlich festhält – Bayern ist längst ein anderes Land, als die von der Partei beschworene weiß-blaue „Vorstufe zum Paradies“.
Historisch haben Herzöge und Könige Bayern einmal erfunden, damit sie es besser regieren können, die Kunst hat Bayern erfunden, damit man es dekorieren kann, die Kirche hat Bayern erfunden, als Ort ganz besonderer Frömmigkeit, der Kapitalismus hat Bayern erfunden, damit sich Folklore, Fußball und Autos noch besser verkaufen lassen und auch die CSU hat Bayern wohl ein wenig miterfunden, als Freistaat im Staat, der anders ist als die anderen Bundesländer. Nach der aus CSU-Sicht verheerenden Landtagswahl stellt sich allerdings die Frage, ob sie diese Geschichte glaubhaft weitererzählen kann, als Partei, die auf Bundesebene Mühe hätte, sich über die Fünf-Prozent-Hürde zu retten.
Bei der Landtagswahl erreichten die Christsozialen gerade einmal 37,3 Prozent (faz.de). Ein Desaster für die einstige 50 Prozent plus – Partei. Dabei ist die abgängige CSU-Wählerschaft nicht etwa nach links gerückt, sondern entschieden weiter nach rechts. Von der schwachen CSU profitiert auch die AfD, die jetzt mit 10,7 Prozent erstmalig in den Bayerischen Landtag einzieht. Die Zugewinne der Grünen speisen sich größtenteils aus den Verlusten der SPD.
Was sich schon seit längerer Zeit verändert, ist das Selbstverständnis der Menschen in Bayern. Der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber hat insofern nicht ganz unrecht, wenn er sagt, die CSU stünde deshalb so schlecht da, weil eine Million Deutsche, die sich über die Jahre in Bayern niedergelassen haben, gar nicht wüssten, wie großartig die CSU doch früher einmal war. Nur sind sie nicht die einzigen, die sich daran nicht mehr erinnern können oder wollen.
Die bayerische Gesellschaft identifiziert sich heute nicht mehr in dem Maße mit einem weiß-blauen Lebensgefühl, wie es die CSU immer noch propagiert: Immer mehr Bayern zieht es in die Stadt, immer weniger aufs Land, immer weniger Mütter – trotz Haushaltsprämie – an den Herd, immer weniger Bayern sind Mitglied in der katholischen Kirche und immer weniger Katholiken gehen in den Gottesdienst. Die Christsozialen haben mittlerweile erhebliche Probleme damit, ihre eigene Stammwählerschaft zu erreichen.
Das „C“ im Namen stand sehr lange für einen virtuellen Ideologien-Speicher, um dessen Pflege man sich nicht einmal selbst bemühen musste. Dafür sorgte die katholische Kirche, viele ihrer Mitglieder hatten in der CSU ihre politische Heimat gefunden.
Söders Kreuzerlass war ein erbärmlicher Versuch, sich dieser Klientel wieder anzunähern.
Ausgerechnet Kardinal Reinhard Marx musste Söder daran erinnern, dass Bayern doch ein säkularer Freistaat sei und eine Regierung kein Recht darauf habe, religiöse Symbole auszudeuten (sueddeutsche.de 29.04.2018).
Der Absturz von CSU und SPD hatte sich seit Wochen in den Umfragen abgezeichnet. Die CSU versuchte eine Doppelstrategie: Söder lockte mit milliardenschweren sozialen Leistungen und fuhr einen harten Kurs in der Asylpolitik. Beides zog nicht. Nach dem von Seehofer losgetretenen Streit über die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen ging es für die CSU in den Umfragen erst richtig bergab – obwohl Söder das Asylthema unmittelbar vor der Wahl mied (handelsblatt.com).
Die schlechten Wahlergebnisse zeigen, dass die CSU zuletzt Politik abseits bayerischer Lebensrealitäten betrieb, oft genug Probleme erst durch ihr Eingreifen zu solchen machte und mit ihrer unchristlichen Agenda zur Spaltung der bayerischen Gesellschaft beitrug. „Mia san mia“ (mia-san-bayern.de) ist eine Tautologie, die naturgemäß auch heute noch stimmt – aber immer weniger greift. Es gibt Bayern immer noch – aber es ist an der Zeit, Bayern einmal mehr neu zu erfinden und das Bild von Bayern den veränderten Lebensrealitäten anzupassen.