Die AfD will Schule machen. In den Bildungseinrichtungen fühlt sie sich benachteiligt und will mit ihrem Online-Pranger dagegen angehen. Die erste Melde-Plattform ist bereits seit September in Hamburg online und trägt den Titel „Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg“. Die Schulbehörde war wenig begeistert und kritisierte, dass aus den Schülern „Denunzianten“ gemacht würden. Die Meldungen können anonym vorgenommen werden (morgenpost.de).
Die AfD ist seither beschäftigt, Scherzmeldungen aus anderen, vermutlich ernst gemeinten Meldungen auszusortieren. Auch ein Gegen-Portal ging bereits online. Unter „zentralmelderegister.de“ können Schüler im Gegenzug diejenigen Lehrer melden, die sich gegenüber ihren Schülern „demokratiegefährdend“ äußern. Dabei handle es sich um „reine Fiktion“ gegen das Vorgehen der AfD, so die Initiatoren:
Im Jahr 1976, im Rahmen des Beutelsbacher Konsens (wikipedia), wurde das Thema politische Bildung in den Schulen festgelegt. Dabei einigte man sich auf drei Prinzipien, an welche sich die Schulen in ihrem Unterricht halten müssen. Nach dem Überwältigungsverbot, auch Indoktrinationsverbot genannt, muss den Schülern die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst eine politische Meinung zu bilden. Auch die Kontroversität zielt auf die eigene Meinungsbildung der Schüler ab. Dabei ist der Lehrer dazu angehalten, seine eigene politische Meinung zurückzuhalten und politische Themen im Unterricht kontrovers zu diskutieren. Das dritte Prinzip ist die Schülerorientierung. Demnach sollen die Schüler die politische Landschaft der Gesellschaft analysieren lernen und auch, wie sie sich selbst politisch einbringen können.
Die AfD hat auch in Baden-Württemberg eine Meldestelle im Internet eingerichtet, über die kritische Lehrer an den Schulen im Südwesten gemeldet werden sollen. Entsprechende Pläne hat der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Rainer Balzer in einer Mitteilung angekündigt.
Lehrer haben in Deutschland die Aufgabe, diskriminierende, rassistische oder demokratiefeindliche Positionen in der Gesellschaft mit den Schülern aufzuarbeiten und dabei ihr kritisches Denken zu stärken. Dabei müssen sie nach geltendem Konsens innerhalb des Unterrichts parteipolitisch zwar neutral bleiben, haben aber die Pflicht zum demokratischen Diskurs und auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Ganz Grundsätzlich steckt dahinter die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen im Geist der Demokratie, Menschenwürde und Gleichberechtigung zu erziehen.
Die Bemerkung des AfD-Parteivorsitzenden Alexander Gauland, Hitler und die NS-Diktatur seien nur ein „Vogelschiss“ angesichts von „tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Man könne diese Position und Rhetorik in einer Reihe von geschichtlichen Relativierungen besprechen, etwa vor dem Hintergrund des Historikerstreits der achtziger Jahre. Argumentiere ein Schüler nach langer thematischer Auseinandersetzung weiterhin, die zwölf Jahre währende NS-Zeit sei nicht so bedeutsam, so liege diese Position innerhalb der Meinungsfreiheit des Schülers, so Sibylle Reinhardt (emeritierte Professorin für Didaktik an der Universität Halle, hat eine Vielzahl von Aufsätzen über den Beutelsbacher Konsens publiziert).
Zwischen Haltung und Zurückhaltung abzuwägen ist für Lehrer in Deutschland nicht neu. Neu ist, dass sich eine Partei diese Gratwanderung politisch zunutze macht. Und zwar ausgerechnet jene Partei, die ihre politische Sprengkraft daraus schöpft, die Grenzen des „öffentlich Sagbaren“ (zeit.de) immer wieder auszutesten und auszudehnen. Die AfD verkehrt auf dem bildungspolitischen Feld ihr eigenes Programm: Ihr Argument der grenzenlosen Redefreiheit soll ausgerechnet in deutschen Klassenzimmern beschränkt werden.
Verbeamtete Lehrer – das sind 80 Prozent der 760.000 Lehrer in Deutschland – müssen sich außerdem mäßigen: Sie dürfen sich in ihrer Freizeit politisch engagieren, dieses Engagement aber nicht in den Unterricht tragen. Das Gebot bezieht sich vor allem auf den Fall, dass jemand sich aktiv für eine Partei einsetzt.
Die AfD dreht dieses Gebot jetzt um: Sie beklagt, dass Lehrer sich aktiv gegen sie einsetzten. Dass sie von Veranstaltungen ausgegrenzt und auf Arbeitsblättern diskriminiert werde.