Asylstreit: Seehofer stellt Merkels Richtlinien-Kompetenz in Frage; jetzt erhält er Rückenwind vom bayrischen Ministerpräsidenten Söder, der die Kanzlerin nicht zum bayrischen Wahlkampf einladen will. Bayern wählt seinen Landtag am 14. Oktober 2018. Söder will sich – statt mit der Bundeskanzlerin – mit dem österreichischen Kanzler Kurz treffen. Letzterer vertritt eine rechtslastige Politik und befindet sich in dem populistischen Fahrwasser, dessen Gestaden die CSU nun auch ansteuert. Das Bestreiten von Merkels Richtlinien-Kompetenz: Die Argumente der Herren Söder und Seehofer hören sich knackig an, sind jedoch inhaltslos und zeugen von einer frappierenden Unkenntnis, was die Normen unserer Verfassung, des Grundgesetzes, angeht. Die Fakten sehen anders aus.
Schon zu Zeiten de Griechenlandkrise posaunte Populist Seehofer, man werde die Griechen aus der EU „rausschmeißen“. Deftig Herr Seehofer, nur leider wieder verloren. Die Verträge für die Europäische Union enthalten keine „Rausschmissklausel“. Die Griechen hätten vielmehr die EU-Mitgliedschaft kündigen müssen, was sie aber bekanntlich nicht taten.
Die Kanzlerin hat CSU-Chef Seehofer im Asylstreit damit gedroht, ihre Richtlinienkompetenz geltend zu machen. Seehofer will sich das „nicht gefallen lassen“. Doch Merkel sitzt am längeren Hebel.
Im Streit über die mögliche Zurückweisung bestimmter Asylsuchender an der deutschen Grenze stellt die CSU die „Richtlinienkompetenz“ von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) offen in Frage. Es sei höchst ungewöhnlich, gegenüber dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU mit der Richtlinienkompetenz zu drohen, meint CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer. „Das werden wir uns auch nicht gefallen lassen.“ Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verkündete kürzlich, die Umsetzung des geltenden Rechts liege in der Verantwortung des Innenministers. „Ich sehe da keinen Zusammenhang mit einer Richtlinienkompetenz“.
Bundeskanzlerin Merkel sieht das – zu Recht – anders:
Richtlinien-Kompetenz:Nach diesem Prinzip sind die Minister an die Weisungen der Regierungschefin gebunden: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“, heißt es in Artikel 65 des Grundgesetzes.
Kollegialprinzip: Dem Kollegialprinzip zufolge entscheiden Kanzlerin und Kabinett über Fragen von allgemeiner politischer Bedeutung gemeinsam. Bei Differenzen allerdings hat die Kanzlerin das letzte Wort.
Ressortprinzip: Nach dem Ressortprinzip leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich in eigener Verantwortung. In die Befugnisse des Ministers direkt hineinregieren darf die Kanzlerin also nicht. Minister müssen laut Bundesregierung aber darauf achten, dass Entscheidungen im von der Kanzlerin vorgegeben politischen Rahmen bleiben.
„Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müssen mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik in Einklang stehen“, hat die Regierung in Paragraf 12 ihrer Geschäftsordnung festgelegt.
Und noch ein Punkt unterstreicht die besondere Rolle, die Merkel nun einmal hat: Sie wählt die Minister nicht nur aus, sondern macht dem Bundespräsidenten auch verbindliche Vorschläge für deren Entlassung. Dies ist bei Streitfragen also so etwas wie die letzte mögliche Eskalationsstufe.
Bleibt Seehofer auf Krawall gebürstet, könnte die Bundeskanzlerin dessen Entlassung vorschlagen, auch wenn dem Bundesinnenminister dies derzeit nicht so in den Kram passen will. Was Herrn Söder angeht, mag er in Bayern tun, was er will. Fakt ist: es muss mit den Bundesgesetzen in Einklang stehen, und um solche geht es in der Asylpolitik. Auch Herr Söder wird sich beugen müssen.
Das derzeitige Macho-Geblöke von Seiten der CSU hat langsam aber sicher die Grenze einer offenen Revolte erreicht.
Vielleicht ist Herr Seehofer als Innenminister bald Teil der bundesrepublikanischen Geschichte. Das Damoklesschwert der Kündigung schwebt über ihm …