Anläufe zur Demokratie in ehemaligen Kolonien des Westens gab es in neuerer Zeit nach dem zweiten Golfkrieg von 2003, im Arabischen Frühling seit 2010 und mit der Erhebung gegen den syrischen Diktator im Jahr 2011. Alle endeten im Chaos! Unter anderem wurden muslimische Bewegungen, die wie die Muslimbrüder in Ägypten die Wahlen gewonnen hatten, mit Gewalt an der Machtübernahme gehindert, was Terrorgruppen wie den 2014 proklamierten „Islamischen Staat“ förderte. Die Ressentiments der Muslime richten sich in erster Linie gegen den Westen, von dem sie sich seit über 200 Jahren gedemütigt fühlen. Wer die Reaktion der Deutschen auf die viel geringeren Zumutungen des Vertrags von Versailles 1919 kennt, sollte dafür Verständnis aufbringen.

Das Staatsversagen in den einstigen Kolonien hat nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Gründe, und wie bei der Entwicklung des Staates greifen auch hier koloniale Strukturen, Fehlentscheidungen postkolonialer Eliten und die Einflussnahme ehemaliger Kolonialmächte ineinander.

Südamerikanisches Silber, kongolesisches Uran oder arabisches Öl: Stets wurden die Kolonien auf Rohstoffproduktion für den Weltmarkt festgelegt und als Absatzmärkte für Fertigwaren betrachtet. Profite wurden von Privatleuten gemacht, während die politische Kolonialherrschaft fast immer ein Zuschussunternehmen blieb. Die Beteiligung einheimischer Eliten diente nicht zuletzt der Senkung der Herrschaftskosten. Kolonialismus wie Kapitalismus heißt private Profite bei Sozialisierung von Verlusten.

Verschärft wurde diese Entwicklung in den ehemaligen Kolonien durch Entscheidungen, die unabhängige Regierungen weitgehend aus freien Stücken getroffen haben, die sich aber im Nachhinein als Fehler entpuppten. So war im Boom der Jahre 1950 bis 1970 auch in Asien und Afrika der Optimismus groß. Man betrieb keine nachfragegerechte Industrialisierungspolitik, investierte in Prestigeobjekte, in den Ausbau der Militär- und Staatsapparate (Stellvertreterkriege mit entsprechenden Waffenmärkten, die die Rüstungsindustrie der ehemaligen Kolonialisten bedienten), bewertete die Landeswährungen zu hoch, vernachlässigte die Landwirtschaft und verschuldete sich im Ausland. Man erlag dem Charme des Booms.

In den 1970er Jahren war die Prosperität weltweit zu Ende. Zugleich explodierten die Energiekosten wegen der Erhöhung des Ölpreises durch das Kartell der Erdöl exportierenden Länder (OPEC). Der Finanzmarkt war von Petrodollar überschwemmt; krisengeplagten Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien wurden Kredite nun fast nachgeworfen. Die Schuldenfalle schnappte zu.

Ab den 1980er Jahren hatten die Länder keine andere Wahl mehr, als sich den Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zu unterwerfen. Sanierungskredite gab es für den Preis einer Liberalisierung des Außenhandels und einer Abwertung der Landeswährung. Ferner mussten die Staatsbetriebe privatisiert und die Staatsausgaben reduziert werden – zumindest die für das Personal, für Waffen durfte auch weiterhin Geld ausgegeben werden. In der Folge erodierten vielerorts die ohnehin schwachen staatlichen Strukturen noch weiter.

Selbst unter den erschwerten Bedingungen der Schuldenkrise zeigte sich allerdings, dass der politische Wille in den einzelnen Ländern mitentscheidet und nicht das koloniale Erbe allein die Entwicklung bestimmt. So vollzog sich zwischen 1983 und 1990 überall in Lateinamerika ein Übergang zur Demokratie. In Afrika begann die Demokratisierungswelle 1990. Deren Ergebnisse lassen freilich häufig zu wünschen übrig. Demokratie als stabiles Erfolgsmodell hat sich außer in Indien bisher in keinem nachkolonialen Gemeinwesen bewährt und der moderne Staat als Ganzes nicht einmal dort.

Kolonialherrschaft eröffnete – bei allem Schrecken auch Freiräume. Sie brachte nicht nur Unterdrückung, sondern auch Befreiung von Fesseln der Tradition. Wirtschaftliche Chancen wurden genutzt, Frauen fanden neue Rollen, neues religiöses Leben blühte auf, weltweite Kontakte und globale Mobilität wurden möglich, und ein kritisches postkoloniales Denken entstand.

In diesem Zuge haben sich manche Länder nicht nur Importartikel wie das westliche Staatskonzept angeeignet, sondern auch die englische Sprache. Unsere Weltkultur ist demnach zwar europäischen Ursprungs, aber längst nicht mehr europäischen Charakters. Die europäische Unterwerfung der Welt ist nur noch historische Feststellung.

De facto wurden viele Länder bankrott in die Unabhängigkeit entlassen. Eine wesentliche Überlegung der Kolonialherren war, dass die Kolonien zu teuer geworden waren. Hingetrieben hatte uns vor über 200 Jahren die Gier nach billigen Rohstoffen und Arbeitskräften. Der Fluch der Ressourcen. Dann bekamen wir die Rechnung. Zahlen werden diese wohl auch die ehemaligen Kolonien. Wir müssen umdenken!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert