Was heute „Trumpismus“ genannt wird, ist nicht vom Himmel gefallen. Extremformen von Freier-Markt-Denke und reaktionärer Gesellschaftsvision waren schon immer Teile des amerikanischen Konservatismus. Der Schwenk hin zu einer Dominanz des Nativismus – der internationalen Abschottung und dem mythischen Ideal von Amerika als Ort unkomplizierter Lebensformen – vollzog sich nicht über Nacht, sondern über rund 50 Jahre.

Er begann mit einem Bestseller. Gewissen eines Konservativen heißt das Buch von Barry Goldwater, einem 1998 verstorbenen Senator aus Arizona. Der Konservative gilt im Erscheinungsjahr 1960 als aussterbende Spezies. „In unserer Sorge, die Welt zu ‚verbessern‘ und ‚Fortschritt‘ zu sichern, haben wir unsere Schulen zu Labors für soziale und wirtschaftliche Veränderungen gemacht“, heißt es dort. Es ist eine fundamentale Kritik am Wesen des „New Deal“, dem in den 1930ern verabschiedeten Paket des demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, in dem der Staat mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft stützt und Sozialprogramme einführt. Auch Republikaner, die sich zu diesem Zeitpunkt gar einen liberalen Ostküsten-Flügel leisten, tragen diese Politik mit. Zu groß ist die Angst, dass der ökonomische Ruin der Massen den Totalitarismus heraufbeschwört.

„Freiheit“ heißt Goldwaters radikaler Gegen-Slogan. Das Buch verkauft sich 3,5 Millionen Mal und liegt später unter anderem auf den Nachttischen von Ronald Reagan, George W. Bush und Ted Cruz. Freiheit, das ist für Goldwater Selbstverwirklichung durch freies Geschäft, freien Markt und einen möglichst kleinen Staatsapparat. Die „Young Americans For Freedom“ beginnen, die neue Form des Konservatismus an Unis wie ein Evangelium zu verkünden – es ist die andere Geschichte der Sechziger, weit weg vom Freiheitsbegriff der Hippies und späteren Baby Boomer.

Goldwater selbst wird 1964 Präsidentschaftskandidat der Republikaner, er wütet gegen Kommunisten, die Unmoral der Unterhaltungskultur, den übermächtigen Staat und den Bürgerrechtskampf der Afroamerikaner. Er verliert haushoch gegen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson, seine Nominierung bedeutet das Ende des liberalen Flügels der Partei.

Goldwaters Niederlage bei der Präsidentschaftswahl ist nicht das Ende seiner Denkschule.

Brillante Ökonomen der Chicagoer Schule wie Milton Friedman und James Buchanan liefern den theoretischen Unterbau für Goldwaters Thesen: Märkte als Lösung für alle gesellschaftlichen Probleme, von Infrastruktur über die Bildung bis hin zur Gesundheit. Die Krisen der Siebziger scheinen die Grenzen der staatlichen Wirtschaftssteuerung aufzuzeigen und nach einer Alternative zu rufen. Selbst die Wahl Ronald Reagans 1980 ist kein endgültiger Sieg der konservativen Ideologie, auch wenn er erstmals Teile des Programms durch Steuersenkungen und Deregulierung durchsetzen kann.

Nachdem 1992 Bill Clinton maßgebliche Ideen der Konservativen übernimmt, erscheinen die Republikaner mit ihren eigenen Waffen besiegt. Außenseiter-Kandidaten wie der erzkonservative Pat Buchanan predigen eine Rückkehr zur reinen Lehre, die nur noch die Ablehnung des Staates mit dem Mainstream gemein hat. Konservative soziale Werte, Gegnerschaft zur Einwanderung sind seit Nixon vor allem Lockmittel für Wähler, der Fokus liegt vielmehr auf wirtschaftlicher Liberalisierung und der Rolle als Weltmacht. Außenpolitische Isolation ist eigentlich keine Option für konservative Präsidentschaftskandidaten.

Die Ära George W. Bushs dürfte als letzte der „alten“ Republikaner, vor allem aber als das Ende der Neokonservativen gelten, die eine imperialistische Außenpolitik verfolgen. Sein Irak-Debakel ebnet der Trump-Ära den Weg.

Der Plan, der auch in verschiedenen Bundesstaaten mit der Verschärfung von Wahlgesetzen für Afroamerikaner verbunden ist, geht auf: die Republikaner zementieren ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus bis mindestens 2020, wenn die Bezirke neu berechnet werden. Doch der Nebeneffekt, dass nun in Vorwahlen Kandidaten um ein äußerst konservatives Publikum buhlen, sorgt für einen Rechtsruck und die Rückkehr des ganz rechten Konservatismus auf breiter Front – zunächst durch die Tea Party, später durch die „Trumpisten“.

Während Goldwater den Demokraten noch vorwarf, „zu lasch“ gegen den Kommunismus vorzugehen, werden Progressive heute direkt als verkappte Sozialisten beschimpft.

Ein flächendeckender Sieg des neoreaktionären Konservatismus gilt als so unwahrscheinlich wie sein Verschwinden nach der Trump-Ära.

 

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