Ein Reiterstandbild von Wilhelm dem Eroberer. Die normannische Kultfigur hat keine Arme, kein Gesicht und nur ein Bein. Es ist eine moderne Skulptur, geschaffen vom Schlossherrn, Jean-Marc de Pas.

Weniger bekannt ist, wer vor Langem der Vorbesitzer war: Pierre le Pensant de Boisguilbert (1646–1714), ein direkter Vorfahre des Bildhauers. In Frankreich ist der Mann kaum bekannt und jenseits der Grenzen erst recht nicht. Dabei war Boisguilbert einer der wichtigsten Vordenker der Ökonomie und einer der ganz frühen Wirtschaftsliberalen, lange Zeit vor Adam Smith. Karl Marx, der die Wirtschaftsgeschichte bestens kannte, bezeichnete den Franzosen zusammen mit dem Engländer Sir William Petty als Mitbegründer der klassischen politischen Ökonomie.

Frankreich hat den Ruf, schon immer auf das Modell einer staatlich organisierten Volkswirtschaft gesetzt zu haben. Der Minister Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) des Sonnenkönigs Ludwig XIV. legte die Wurzeln für diesen Ansatz. Er modernisierte den französischen Staat, erweiterte und verschärfte die Regulierung, gründete Manufakturen und trieb so die französische Version des Merkantilismus voran, die den Export auf Kosten der Nachbarländer in den Vordergrund stellte. Die strikte Hierarchie unter der Allmacht des absolutistischen Königs ließ den Einzelnen wenige Freiräume. Mit der Französischen Revolution endete die starre Ständeordnung, doch die Philosophie des Gesellschaftsvertrages von Jean-Jacques Rousseau legte eine neue Grundlage für die starke Rolle des Staates. Von Beginn des 20. Jahrhunderts an sorgten zudem Kommunisten, Sozialisten, die Gewerkschaftsbewegung und später der Gaullismus für eine weitreichende Abkehr vom Liberalismus.

Liberale Epochen gab es immer wieder. Das 19. Jahrhundert war auch in Frankreich weitgehend eine Zeit des freien Wirtschaftens. Als Bismarck in Deutschland eine landesweite Sozialversicherung einführte, lehnten dies die Franzosen zunächst ab, weil sie an ihren zahlreichen Genossenschaften festhalten wollten. „Der deutschen Rasse die autoritäre Lösung, die auf dem Staatssozialismus fußt, der romanischen Rasse die liberale Lösung, die auf dem Teilen und der Freiheit beruht“, schrieb Emile Cheysson.

Für diese liberalen Lichtblitze gibt es Vordenker. Sie tragen Namen wie Boisguilbert, de Gournay, Turgot, Bastiat und Tocqueville. Frankreich blickt auf eine lange Tradition des wirtschaftsliberalen Denkens und Handelns. Die verbreitete Annahme, den Wirtschaftsliberalismus hätten schottische und englische Denker wie Adam Smith, David Hume und John Locke erfunden, ist unvollständig. Die französische Vorliebe für wirtschaftliche Freiheit ist auch nicht überraschend, wenn man sich an große liberale Leistungen wie die erste Hälfte der Französischen Revolution erinnert. Politische und wirtschaftliche Befreiung gingen damals Hand in Hand.

Fast hundert Jahre zuvor hatte Boisguilbert wichtige Vorarbeiten für die Idee der freien Preisbildung, der Senkung von Handelsschranken und der allgemeinen staatlichen Zurückhaltung geleistet. Von seinem Anwesen aus, sowie in der Region um Rouen, hat er sie teilweise umzusetzen versucht. Seine Plädoyers bei verschiedenen Finanzministern des Sonnenkönigs blieben zwar erfolglos, doch Boisguilberts Veröffentlichungen erzielten Wirkung. Adam Smith ließ sich später davon wahrscheinlich inspirieren. Auf einer fast zweijährigen Reise durch Frankreich erhielt Smith entscheidende Anregungen, etwa in freimütigen Debatten der Pariser Salons.

Im 19. Jahrhundert wirkten in Frankreich wichtige liberale Ökonomen wie Jean-Baptiste Say (Saysches Theorem) oder Frédéric Bastiat. De Gournay prägte den Ausruf: „Laissez-faire, laissez-passer“. Die französische Zeitschrift „Journal des Économistes“ wurde eine Bibel für liberale Ökonomen. Alexis de Tocqueville schrieb nicht nur über die Demokratie in Amerika, sondern kämpfte auch für individuelle Freiheit, politische Gleichheitsrechte und Dezentralisierung.

Mit der Zeit, vor allem im 20. Jahrhundert, ging diese Tradition jedoch verloren. Die Antiliberalen gewannen vor allem in der Periode zwischen 1936 und 1946 die Oberhand, als zuerst die linke Volksfront-Regierung per Wahl an die Macht gelangte und dann 1940 die Besetzung durch die Deutschen erfolgte. Die Kommunisten eroberten durch ihren Kampf in der Résistance die Herzen vieler Franzosen. Von 1946 an setzten sich Denkschemata durch, besonders bei den Intellektuellen, die im besten Fall die liberale Vergangenheit Frankreichs ignorierten, wenn nicht sogar lächerlich machten.

Heute sind diese historischen Spuren im Sand verlaufen. Eine neue Generation von Denkern ist herangewachsen, inspiriert unter anderem von der Start-up-Bewegung.

Die Abkehr vom Liberalismus ist nicht zuletzt daraus entstanden, dass die Intellektuellen den französischen Philosophen Michel Foucault falsch verstanden haben. Dennoch ist der Wandel in Frankreich nicht zu leugnen. Intellektuelle tauchten früher in den Debatten fast gar nicht auf, heute füllen sie bei öffentlichen Auftritten ganze Hallen und zieren bei Magazinen die Titelseiten.

So bekommt der Liberalismus in Frankreich wieder eine Chance.

 

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