Wir beklagen heute den Werte- und Kulturverfall in Deutschland. Denkt man an Pegida, kommt von der politischen Linken nicht ganz unberechtigt die Frage, was denn deutsche Kultur sei. Manche gehen soweit zu sagen, wir hätten keine Kultur, die es gegenüber dem Islam zu wahren gelte.
Spiegelt sich in der Architektur der Zustand einer Kultur und damit einer Gesellschaft? Gehen wir in die 1920er Jahre: Die Architektur des Bauhaus und Ähnlichem nannte man „dekonstruktivistisch“ und „traditionsfeindlich“. Fakt ist aber, das diese Epoche bis heute die Architektur im Westen bestimmt und Le Corbusier, Gropius und andere sozialistische Architekten bis heute von der Architekturwelt rezitiert werden. In Fachkreisen sagt man, es sei eine schlechte Architektur gewesen, ja „Müllarchitektur“. Diese Neudenker der Gesellschaft, die ganz im sozialistischen Geist eine traditionsfeindliche Dekonstruktion der Kultur vornahmen und bis heute betreiben – exotisch sind diese Geister, ihre Schöpfungen passen buchstäblich „nicht ins Bild“. Aber richteten sie deswegen in unseren Städten Schaden an?! Architektur ist eine Form von Kunst, damit Kultur und Spiegelbild einer Gesellschaft. Sie muss nicht zyklisch sein, d.h. nur die geistige Entwicklung einer Bevölkerung spiegeln, nein, sie kann sie auch anprangern, kritisieren. Früher nannte man dies „entartete Kunst“. Heute nennt man es „Antikunst“. Oft wird gesagt, diese stelle eine Form des linken Kulturkampfes dar, erpicht darauf, die westliche Zivilisation physisch zu vernichten. Ob diese Praktiken linker Denke entspringen, sei dahingestellt. Kritik ist immer vielfältig, kommt – auch – von links. Was die „Vernichtung der westlichen Zivilisation“ angeht, so geht es in einer modernen Gesellschaft wohl auch weniger martialisch. Es ist nicht die Kritik als solche; eine Gesellschaft kann aus Kritik lernen. Erst wenn sie ihre Kritikfähigkeit verloren hat, ist sie dem Untergang geweiht. Die Frage, die sich stellt, ist: Sind wir soweit? Ich sage: noch nicht!
Schlimm ist jedoch die Auffassung (selbst bei angeblichen Kunstexperten), moderne Kunst folge dem Geist der Dekonstruktion, fülle ganze Museen mit geistlosem Müll. Kunst als ideologisches Protestmittel, sozusagen Tyrannei des Hässlichen und des Absurden. Folgte man dem, wenn also Kunst eine Schöpfung des menschlichen Geistes ist, dann ist die Kunst rückwirkend Indikator des menschlichen Geisteszustands. Vergleicht man dabei klassische Kunst mit moderner Kunst, wäre wohl heute ein Psychologe zu Rate zu ziehen. Die heutige Kunst wäre somit von Stumpfsinn, sowie Geist- und Seelenlosigkeit, bestimmt.
Die gesamte Popkultur diente damit ausschließlich der Zurschaustellung der schlimmsten menschlichen Eigenschaften wie Narzissmus, Hedonismus, Materialismus oder Sexismus.
Kann das sein? Gehen wir hundert Jahre zurück in den Dadaismus, die Jahre 1916/17. Letztes Jahr feierten wir das hundertste Jubiläum. Welche Epoche! Hat jemand schon einmal genau hingeschaut: Was sollte der „Müll“ aus Kollagen, Abbildungen von Schrott und hirnlosen Kombinationen?! Ist diese Epoche jetzt plötzlich gut, weil sie in die Jahre gekommen ist? Nein, Dada bildete damals den geistigen Zustand der u. a. deutschen Bevölkerung, der deutschen Kultur ab, mitten im Ersten Weltkrieg. Künstler prangerten an, sagten: „Passt auf! Sonst läuft es aus dem Ruder!“. Man hat auf die kritische Kunst, das Abbild des Geistes der Bevölkerung, nicht gehört, die Intellektuellen gegen die Wand laufen lassen. Wohin es führte, wissen wir. Und gewisse Anklänge finden sich heute in der Politik – Augenmerk nach Polen oder Ungarn, aber auch zu Gruppierungen wie Pegida – wieder.
Kunst – zu der auch Architektur gehört – ist wichtig, um uns unsere Fehler und Gedankenlosigkeiten vor Augen zu führen. Das wird von offizieller Seite – oder auch dem „Mainstream“ – nicht gerne gesehen. Man verbreitet Angstvisionen, wie die vom „Kulturmarxismus“, der seit den 1960er Jahren mit seiner „Kritischen Theorie“ einen breiten Krieg gegen die westliche Kultur und alle ihre Traditionen, Werte, Ideale und Tugenden führt und alles bis hier Genannte aufgreift und radikalisiert. Genau betrachtet fällt einem nur eines dazu ein: Zum Regieren gehört auch das Verbreiten von Angst, und die Angst muss auf die Straße.
Was bedeutet das alles nun für unsere Städte? Der nachrückenden Generation junger Architekten bleibt heute vielfach die Aufarbeitung. Aufstockung und Ausbau, Erweiterung und Umbau, Umgestaltung und Umnutzung, Ergänzung und Revitalisierung lauten die Aufgaben, die aus so mancher voreiligen Gedankenlosigkeit auftragsverwöhnter älterer Jahrgänge resultieren – wenn noch etwas zu retten ist. Hoffnungsloser denn je scheint die Lage der Architektur in den Gewerbe- und Industriegebieten, den „Wegwerflandschaften“ unserer Stadtkultur. Hier von einem Reparaturfall zu sprechen, käme angesichts der flächendeckenden Verbrüderung von Umsatzkultur und Kulturverfall niemandem in den Sinn.
Vielleicht sollten wir gerade bei der Sucht nach Kommerz als einer der Ursachen für geistigen Verfall ansetzen.