Der erhobene Zeigefinger fuchtelt mir vor der Nase rum. „Meine Liebe, lass dir gesagt sein, ich hab drei Kinder groß gezogen und weiß, was ich tue.“ Sie wiedersetzt sich jeglicher Bitte, die Kinder nicht mehr (mit fast sechs Jahren) häppchenweise mit dem Löffel zu füttern und ihnen halbsekündlich penetrant den Mund abzutupfen. Sie gehen ja schon in die Schule! Egal, die Oma füttert unbeirrt weiter, egal ob der Kleine das mag oder nicht und er wird vollgestopft mit den Worten „wenn er mal krank wird, hat er nix auf den Rippen.“ Die liebe Oma hängt dann auch schnell ein Messingkreuz über die Eingangstür, das soll den Segen bringen und vor Bösem schützen und schlüpft in Mantel und Cape, um die Kids um den Block zu führen. Wie wohlerzogene Hunde müssen sie an der Hand laufen und kriegen obendrein noch ein Eis, weil sie ja nix im Bauch haben.
Abends erzählt die liebe Oma, wie wundervoll ihr Sohn doch sei und wie glücklich die angeheiratete Dame sich schätzen darf, dass gerade SIE die Auserkorene sei. ER sei ein Vollblutgeschäftsmann und SIE dürfe nicht meckern, wenn er 11 Monate von 12 weit weg sei von seiner Familie, er habe schließlich Verantwortung und da könne ihn man nur unterstützen und die Klappe halten. Bei so tollen Kindern, die ER in die Welt gesetzt hätte…
Die liebe Oma liest den beiden Süßen abends dann eine Gute-Nacht-Geschichte. „Kinderbibel“. Wer nicht gläubig ist, hat ohnehin nichts verstanden. Wir sind alle eine große Familie, die gemeinsam zum Himmel glotzen sollen und das Schicksal nehmen, wie es kommt. Je eher die Kleinen den Segen des Heiligen Geistes bekommen umso besser. Sowieso eine Schande, dass sie nicht getauft wurden, das grenzt fast an Satanismus. „Holt das bitte sofort nach, ihr könnt jederzeit in die Kirche gehen und das da machen lassen. Dann sind sie geschützt mit Gottes Segen.“ OK, aber WIR wollen nicht.
Jahre später putzt die Oma immer noch die Lippen ab, das Füttern hat sie endlich eingestellt. Ihre Haare Woche für Woche ordentlich onduliert, sitzt sie da wie eine alte Hexe und spricht: „Du willst doch nicht allen Ernstes sagen, dass mein Sohn sich nicht für euch interessiert? Er tut sein Bestes und euch geht´s doch gut? Hast Du Grund zu klagen?“ Nein, nein… der Weg zum Anwalt ist wie ein Befreiungsschlag.
Die liebe Oma hat bis heute (10 Jahre später) nie wieder ein Wort mit ihr geredet. „Eure Mutter geht mich nichts an, mit d e r habe ich nichts zu tun. Euer Papa ist ein großer Mann, er liebt euch sehr, wisst ihr das?“ Schade, dass die damals Kleinen es bis heute noch nicht so recht bemerkt haben und sich nun – im Erwachsenenalter – fragen, ob Geld, Ruhm und Religion nicht eine Erfindung des Teufels sind. Sie haben so verdammt recht.
© Petra M. Jansen