Justitia, Personifikation der Gerechtigkeit, der ausgleichenden Gerechtigkeit. Dargestellt mit der Waage: „Suum cuique!“, jedem das Seine! Der altrömische Mythos steht wieder einmal auf dem Prüfstein.

„Glücklich ist das Land, das keine Helden braucht, weil es gute Richter hat!“. Das Zitat ist nicht ganz richtig, aber angelehnt an den berühmten Satz aus Bertolt Brechts Leben des Galilei. Dieser Tage werden Richterinnen und Richter wie Helden gefeiert – weil sie der Willkür des US-Präsidenten Schranken setzen, zum Brexit einen Parlamentsbeschluss erzwingen oder die freie Berichterstattung durch unabhängige Medien schützen, wie in Polen.

In der letzten Zeit ist viel passiert: In New York hat die Bundesrichterin Ann Donnelly die pauschale Anwendung des Dekrets von Donald Trump angefochten, Personen aus sieben muslimischen Ländern nicht einreisen zu lassen. In Frankreich nehmen – ungeachtet der Drohungen des Präsidentschaftsbewerbers François Fillon – Staatsanwälte die Scheinanstellung von Familienmitgliedern im Senat ins Visier. Das sind nur einige Fälle …

Alles Petitessen im Vergleich zum Eintreten polnischer Verfassungsrichter für ihre Unabhängigkeit, die die regierende Partei massiv einzuschränken versucht. Solche Eingriffe werden von rechts gern mit dem Satz begründet, das Volk stehe über dem Recht. Autokraten leiten die Legitimation, Legalität zu beschränken, stets aus „volksdemokratischer“ Akklamation ab. Akklamation … Wie leicht rutscht man da ab in den viel beschworenen Populismus?!

Unglücklich die Länder, die keine unabhängigen Richter mehr haben, wo die Justiz zur Vollstreckerin der Machthaber degradiert wurde. Gescheitert sind die Versuche, Erdogans reaktiven Staatsstreich und die Installation einer illiberalen Demokratie durch Viktor Orbán in Ungarn zu verhindern. Auch in Russland gibt es längst schon keine unabhängige Justiz mehr.

Weltweit setzen Oppositionelle auf die Dritte Gewalt, um die Grundpfeiler der Freiheit zu schützen – gegen die autoritäre Welle, welche über die liberalen Demokratien hinwegrauscht. Es geht um Menschen- und Bürgerrechte, um elementare Errungenschaften wie die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Presse, nicht zuletzt um fundamentale Habeas-Corpus-Rechte, wie sie in England einst am Beginn des Rechtsstaates standen. Die Praxis des Verschwindenlassens unliebsamer Personen in Gefängnissen und Internierungslagern, oder sie außer Landes zu bringen, ist in formal demokratische Staaten wie die USA zurückgekehrt. Hört! Hört! Man hätte vor wenigen Jahren nicht gedacht, wie wichtig es einmal sein würde, das Institut der rule of law erneut in Erinnerung zu rufen. In den meisten Demokratien etablierten sich mit der unabhängigen Justiz Gewaltenteilung und Verfassungsgerichtsbarkeit, die den Einzelnen vor der Willkür der Machthaber schützt und eine Kontrolle der Legislative ermöglicht. Bürgern steht die Verfassungsbeschwerde zu, und Parlamente – wie unter anderen der Bundestag – können Normenkontrollverfahren einleiten.

Von Kurt Tucholsky stammt der Satz: „Ich habe nichts gegen Klassenjustiz; mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht.“ Eine frivole Umschreibung der Tatsache, dass die Unabhängigkeit der Justiz eine leitende Idee ist, dass aber jede Errungenschaft ihre Kehrseite hat – die Besetzung von Richterpositionen durch politische Mehrheiten nämlich, oder, wie der Verfassungsrechtler Otto Kirchheimer es ausdrückte: „Die Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken“. Die Justiz der Weimarer Republik war nicht nur in der Wahrnehmung ihres Kritikers Tucholsky auf dem rechten Auge blind, sie trug wesentlich zum Aufstieg des autoritären Staates und des Nationalsozialismus bei. Die Karlsruher Richter haben trotz der Besetzung des Verfassungsgerichtes nach den Mehrheiten im Bundestag immer ihre Unabhängigkeit deutlich unter Beweis gestellt.

In den USA hat Donald Trump jetzt den konservativen Juristen Neil Gorsuch als Nachfolger für den 2016 verstorbenen Bundesrichter Antonin Scalia benannt. Der 49-jährige Jurist muss im Senat angehört und mit einer Mehrheit von 51 Stimmen bestätigt werden. Die Demokraten sind gespalten, ob sie ihn durchwinken sollen. Barack Obama war es gelungen, mit Sonia Sotomayor und Elena Kagan zwei liberale Frauen in das Gericht zu bringen. Doch sein Kandidat für die Nachfolge von Scalia wurde von den Republikanern blockiert, nicht einmal angehört. Sollte es Trump gelingen, weitere Richter durchzubringen, die auf Lebenszeit ernannt werden, könnte der zurzeit einigermaßen ausgewogene Supreme Court deutlich nach rechts rücken. Alles hängt nun davon ab, wie die checks and balances einer Demokratie, die unter Druck gerät, im Krisenfall funktionieren.

Neue Helden braucht das Land! Keine Krieger, nein, Menschen die für Demokratie einstehen und die Säulen der Freiheit stützen. Justitia wird mit Augenbinde dargestellt – sie ist generell blind, nicht nur auf dem rechten Auge.

 

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