Dem Tuch auf den Grund gehen:

Burka-, Niqab- und Burkini-Verbot … Was steckt dahinter? Die Burka, der hellblaue Ganzkörperschleier, kommt in Deutschland quasi nicht vor. Der Burkini: das Kopf, Arme und Beine bedeckende Schwimmkleid. Es ist mehr aus den Nachrichten als aus dem Freibad bekannt. Schließlich der Niqab: der Vollschleier, der nur einen Streifen für die Augen freilässt. Etwa 100 bis 300 Frauen sollen ihn in Deutschland tragen, sagen Islamwissenschaftler. Diese Zahlen sind lächerlich klein, um Grundlage für eine nationale Debatte zu sein.

Doch der Schleier bietet genug Streitstoff. Alice Schwarzer nennt ihn ein „Leichentuch für Frauen“, im Niqab erkenne man die von Ehemännern und Vätern unterdrückte Muslima. Einen Ausdruck individuellen Glaubens sagen jene, die ihn selbst tragen oder die religiöses Leben nicht einschränken wollen. Für ein verfassungsfeindliches Symbol halten ihn weitere. Alles aus dieser Debatte mag ein wenig zutreffen. Trotz ihrer äußerlichen Uniformität sind die Motive der Trägerinnen individuell.

Der ganze Streit ist eine Stellvertreterdiskussion aus theologischer und historischer Sicht.

Das eigentliche Problem sind nicht ein paar Quadratzentimeter Haut zu wenig am Strand oder Stoff zu viel vor Gesichtern. Anstatt sich auf den Niqab zu stürzen, sollte man überlegen, welche islamischen Geisteshaltungen zu Deutschland gehören und welche Grenzen aufgezeigt werden müssen. Diese Diskussion wird schon seit Jahren verweigert. Jetzt aber, nach den Terrorerfahrungen der jüngeren Vergangenheit, treibt etwas anderes die Diskussion an. Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach meint: Der Niqab sei zum konkreten Symbol für abstrakte Gefahren geworden. Je stärker sich die Gesellschaft Bedrohungen ausgesetzt fühle, desto mehr geraten deren augenscheinliche Manifestationen ins Visier. Ein guter Zeitpunkt, einmal hinter den Schleier zu blicken!

Der Niqab ist eine radikale Absage an unsere Gesellschaft. Ein normales Kopftuch ermöglicht einer gläubigen Muslimin, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Ähnlich – so Steinbach – sei es mit dem Burkini. Ein Niqab hingegen zeige, dass eine Frau sich nicht integrieren könne, entweder, weil es durch familiäre Repression verhindert werde oder es am grundlegenden Verständnis der deutschen Kultur fehle. Diese Analyse trifft aber eher auf Migrantinnen zu. Für manche in Deutschland geborene Muslima oder Konvertitin ist der Niqab jedoch ein bewusstes Zeichen, wo die Trägerin sich sehen will: außerhalb dieser Gesellschaft.

Saudi-Arabien war die ursprüngliche Verbreitungsregion des Niqab. Der dort praktizierte strenge wahabitische Islam wird seit dem Ölboom von rückkehrenden Gastarbeitern in deren muslimische Heimatländer gebracht, zudem unterstützen Stiftungen und Privatpersonen aus der Golfregion Institutionen, die den ultrakonservativen Islam des Salafismus fördern. Ihm zufolge bieten der Koran und das Beispiel des Propheten ein Paket an Vorschriften, die das Leben bis ins kleinste Detail regeln. Von Menschen gemachte Gesetze sind im Prinzip überflüssig. Ziel sei die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, quasi als „gottgewollte Ordnung“, teilt der Verfassungsschutz in einer Stellungnahme mit.

Strenge Verschleierung bis hin zum Niqab bei Frauen, Gebetsmale auf der Stirn, Vollbärte mit freirasierten Oberlippen und knöchellange Hosen bei den Männern sind Codes in der Szene. Um ihr Ziel zu erreichen, ist die Mission eines der Kerngeschäfte der Salafisten, auf arabisch heißt sie „Da’wa“ („Ruf zu Gott“ (Wikipedia)). Die Fixierung darauf erinnere an ein Rabattkarten-System, so die Feministin Sineb El Masrar. „Für einen Muslim, den Du auf den rechten Weg führst, gibt es zehn Punkte bei Allah, für einen Konvertiten zwanzig“.

So initiieren salafistische Vereine Aktionen wie die „Lies!-Kampagne“, bei der sie den Koran in deutscher Übersetzung in Fußgängerzonen verteilen. Sie sind grundsätzlich da aktiv, wo sich junge Menschen Fragen zu ihrer Identität und zu ihrem Glauben stellen, vor allem im Internet.

In den vergangenen Jahren wuchs ein Netzwerk aus Vereinen, Firmen, Moscheegemeinden und Organisationen zur Spendensammlung. Mit bedenklichem Erfolg: Zählte der Verfassungsschutz vor fünf Jahren noch 3.800 Szenegänger, waren es im Juni letzten Jahres bereits 7.500.

Eines bleibt festzuhalten: Nicht alle Salafisten sind gewaltbereit, nicht alle Salafistinnen tragen Niqab!

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