Millionen EU-Bürger in Großbritannien müssen nach dem Brexit, dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU), um ihren Aufenthaltsstatus fürchten. Im Moment ist es noch nicht sicher, ob ganz Großbritannien die EU verlassen wird. In Schottland diskutiert man darüber, ob man nicht lieber Großbritannien den Rücken kehrt und weiter die Annehmlichkeiten der EU-Mitgliedschaft genießt. „Die Schotten finden eins noch schlimmer als aus Brüssel regiert zu werden: aus London regiert zu werden.“, so ein tweet von Nils Markwardt, unter anderem Redakteur bei Der Freitag und Philosophie Magazin.

Im Streit um das höchste Regierungsamt Großbritanniens geraten EU-Bürger anderer Staaten zwischen die Fronten. Am 5. Juli diesen Jahres schloss sich der konservative Sozialminister Stephen Crabb den heftigen Angriffen der Opposition auf Innenministerin Theresa May an und verlangte klare Garantien für den Aufenthaltsstatus der Kontinentaleuropäer: „Es kommt nicht in Frage, dass wir die Menschen, die in unserem Land leben, zu Verhandlungsobjekten machen.“

Crabb bewirbt sich wie May um die Nachfolge David Camerons als Parteivorsitzender und Premierminister. Aus der ersten Wahlrunde der konservativen Unterhausfraktion ging die Innenministerin mit etwas über 50 Prozent (165 Stimmen) als Siegerin hervor.

Premierminister Cameron war unmittelbar nach dem Brexit-Votum zurückgetreten. Um die Nachfolge buhlten neben Crabb und May auch Justizminister Michael Gove, die Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom, sowie der frühere Verteidigungsminister Liam Fox.

Bei der geheimen Abstimmung der 329 Tory-Abgeordneten ging es nur um den Ausschluss des letztplatzierten Kandidaten, also Fox. Crabb gab zwischenzeitlich auf. Bis Anfang nächster Woche wird noch ein Kandidat abgewählt. Die beiden Bestplatzierten stellen sich dann der Urwahl durch die rund 130.000 Mitglieder. Ein Ergebnis wird für 9. September erwartet.

Auch die Abstimmungsmodalitäten sind arg in die Kritik geraten:

Während beim Referendum über Schottlands Unabhängigkeit im Herbst 2014 sämtliche Migranten aus der EU das Wahlrecht genossen, blieben bei der Volksabstimmung vergangenen Monat die meisten der rund 2,4 Millionen Bürger anderer EU-Staaten vom Votum ausgeschlossen. Lediglich Iren, Malteser und Zyprioten durften mitstimmen. In der Abstimmungsauseinandersetzung war zwar viel von Einwanderern aus Polen und Rumänien die Rede, um deren Post-Brexit-Aufenthaltsrecht ging es aber so gut wie nie.

Premier Cameron hat im Unterhaus versichert, am Status der EU-Bürger des Kontinents werde sich „einstweilen“ nichts ändern; die endgültige Entscheidung könne erst die nächste Person in der Downing Street treffen. Innenministerin May hält an dieser offiziellen Regierungslinie fest. Die Angelegenheit müsse im Rahmen der Austrittsverhandlungen mit Brüssel geklärt werden, schließlich gehe es auch um das Schicksal der Briten, die in EU-Staaten leben. Man schätzt deren Zahl auf rund 2,2 Millionen.

Diese Haltung stößt auf zunehmenden Widerstand. „Zutiefst beleidigend“ nannte das Vorgehen im Unterhaus die Labour-Abgeordnete Gisela Stuart. Eingewandert aus Bayern gehörte sie zu den Brexit-Vorkämpfern. Betroffene Menschen könnten nicht für zwei Jahre ihre Lebensplanung aussetzen: „Sie sind keine Verhandlungsposition, um die man feilscht.“ Der innenpolitische Labour-Sprecher Andy Burnham beschuldigte die Innenministerin, sie gefährde millionenfach das Familienleben von Briten mit Verwandten aus EU-Staaten. Die eigenen Kinder wüssten schon gern, ob ihre Mutter auf Dauer dableiben dürfe. Burnhams Ehefrau stammt aus den Niederlanden.

Bei den Betroffenen selbst sorgt das Thema für erhebliche Unruhe. Vor der Abstimmung hatte die Zahl der EU-Bürger zugenommen, die sich um die britische Staatsbürgerschaft bewerben. Wer mindestens fünf Jahre Steuern bezahlt hat, kann in Großbritannien den „permanenten Aufenthaltsstatus“ beantragen. Hunderttausende aber leben seit Jahrzehnten mit ihren jeweiligen EU-Pässen in Großbritannien.

Schließlich hat die Durchführung des Brexit-Referendums noch einen äußerst bitteren Beigeschmack: Bereits fünf Tage nach der Abstimmung hatte sich Großbritannien verändert. Der Nationalstolz, auf den das Brexit-Lager gesetzt hatte, äußert sich jetzt in offenem Rassismus. Niemand will natürlich schuld sein. Und das trifft unter anderen auch Italiener, Deutsche und Franzosen. Am Londoner Flughafen Heathrow sagte ein Rentner grinsend zu einer Deutschen: „Bald entscheiden wir dann, ob Ihr ein Visum bekommt.“ (Handelsblatt).

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