Menschen erfinden und nutzen technische Geräte mit dem unbewussten Ziel, den Energieaufwand in Form eigener Anstrengungen zu verringern, um etwas, was sie tun, künftig noch leichter und effizienter tun zu können. Bei den im vorigen Jahrhundert noch vorherrschenden „Kraftmaschinen“ ging es zunächst noch um mehr Bequemlichkeit und das Erzielen größerer Leistungen mit immer geringerem körperlichem Kraftaufwand. In diesem Bestreben haben wir es ziemlich weit gebracht. Für fast alle Tätigkeiten gibt es inzwischen arbeitserleichternde Geräte und Maschinen. Beim Vormarsch der heutigen digitalen, durch Algorithmen gesteuerten „Kombinationsmaschinen“ geht es nun, im zweiten Schritt, um mehr Bequemlichkeit und Effizienzsteigerung im Gehirn, also um die Verringerung des eigenen geistigen Denkaufwandes.

Menschen sind enorm anpassungsfähige Lebewesen, und unser zeitlebens lernfähiges Gehirn ist das anpassungsfähigste Organ, das wir besitzen. Ungünstig ist nur, dass wir den eigenen Anpassungsprozess oft erst dann bemerken, wenn er bereits sehr weit fortgeschritten ist. Wir können mit unserem Körper oft jahrelang Auto fahren, den ganzen Tag in bequemen Sesseln hocken und uns kaum noch bewegen, bis die Folgen der Nutzung dieser komfortablen Fortbewegungs- oder Sitzmöglichkeiten schließlich als lästige Rückenschmerzen spürbar werden. Die meisten von uns schaffen es sogar, diese Signale aus ihrem eigenen Körper so lange zu überhören, bis sie beim Arzt landen. Das ist dann nicht mehr so bequem und energiesparend und kann dazu führen, dass wir nun doch lieber bewusst die Treppe benutzen anstelle eines Fahrstuhls, also den kurzzeitigen eigenen Energieaufwand in Kauf nehmen und uns wieder selbst bewegen, statt von einem Gerät bewegt zu werden. Offenbar sind Menschen also bereit, ihr Gehirn zumindest gelegentlich wieder einzuschalten, um allzu weitreichende Anpassungsprozesse auf körperlicher Ebene zu vermeiden, indem sie ihren Körper wieder selbst entdecken und reaktivieren.

Inzwischen nutzen wir aber nicht nur diese arbeitserleichternden Maschinen und Geräte, sondern zunehmend solche, die uns das eigene Denken erleichtern. Auch das hat Folgen, die auch wieder nicht sofort, aber dafür – wenn sich unser Gehirn erst einmal hinreichend gut an diese energiesparenden Erleichterungen angepasst hat – umso fataler zutage treten.

Weil sie völlig schmerzlos sind, bemerken wir sie erst sehr spät. Los geht es meist damit, dass man sich keine Telefonnummern mehr merken kann. Die sind ja im Smartphone gespeichert! Adressen und Namen auch. Wer wohin will, nutzt das GPS, und wenn das jemand lange genug so gemacht hat, können die Neurobiologen dann eine Schrumpfung des dorsalen Hippocampus in seinem Gehirn beobachten, also derjenigen Hirnregion, die für den räumlichen Orientierungssinn zuständig ist. Nutzungsabhängige Plastizität nennen das die Hirnforscher. Was nicht mehr regelmäßig im Hirn genutzt wird, schrumpft eben sukzessive dahin. Manche Vernetzungen werden bei intensiver Nutzung digitaler Medien auch intensiver beansprucht und deshalb entsprechend stärker ausgebaut. Etwa diejenigen, die bei der Bedienung eines Handys für die Regulation der Daumenbewegungen zuständig sind, oder die für die Hand-Augen-Koordination, wenn jemand viel mit seiner Computermaus arbeitet. Sinnvoll sind diese Anpassungen allemal, sie erleichtern dem Hirn die Arbeit, und so wird dort oben Energie gespart.

Was nicht mehr regelmäßig im Hirn genutzt wird, schrumpft dann weg.

Und sehr zweckmäßig ist es auch, dass diese „nutzungsabhängige Plastizität“ des Gehirns während der Phase der Hirnentwicklung – bei Kindern und Jugendlichen – besonders stark ausgeprägt ist. Je jünger die Personen sind, die ihr Hirn mithilfe dieser das eigene Nachdenken und Erinnern erleichternden Geräte entlasten, desto stärker passt sich die innere Organisation ihres Gehirns an diese Art der Nutzung an.

Angesichts der vielfältigen und interessanten Möglichkeiten, die digitale Möglichkeiten heute in unserer digitalen Welt bieten, dürfte ein etwas geschrumpfter Hippocampus oder eine etwas ausgeprägtere Daumenrepräsentanz im sensomotorischen Cortex von der Mehrzahl der Nutzer mit einem Schulterzucken in Kauf genommen werden.

Was bleibt von uns?

Auch durch Verbote oder Nutzungsrestriktionen wird sich der Siegeszug der digitalen Medien nicht mehr aufhalten lassen. Er hat längst alle Lebensbereiche erfasst. Absehbar ist, dass jede menschliche Leistung, die sich in Form digitaler Algorithmen darstellen und gerätetechnisch umsetzen lässt, künftig von diesen Apparaten übernommen werden wird.

Was uns Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit, etwas wollen zu können.

In einer Gemeinschaft selbstbestimmter Subjekte könnten wir unser Gehirn nutzen, um in einem co-kreativen Prozess nach Lösungen für die von uns selbst geschaffenen und durch die Digitalisierung rascher zutage geförderten Probleme zu suchen. Auf diese Weise ließe sich viel der in unserem gegenwärtigen Zusammenleben verbrauchten Energie einsparen.

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