Erdrutsch-Sieg für die Front National! Jetzt geht es an die Spurensuche. Es sind nicht nur Arbeitslose und Rentner, die um ihre Pensionen fürchten.

Die Front National war lange Zeit nur ein Gespenst, eine rechtsextreme Partei, die nun einmal zur politischen Landschaft dazugehört, aber nie die Volksmassen mobilisieren wird. Viel Lärm um nichts, gerade mal zwei Abgeordnete hat sie in der Nationalversammlung – einer davon noch ohne Parteibuch. Das hat sich letzten Sonntag verändert. Die Front National (FN) ist zur stärksten politischen Kraft in Frankreich geworden. Es ist möglich, dass sie dieses Wochenende zwei Regionen übernimmt.

Für die Partei ist das ein großer symbolischer Erfolg. Es ist der Beweis dafür, dass der Wandel erfolgreich war, dass sich das Gesicht der FN von einer gefährlichen Fratze in das einer starken Frau verwandelt hat, die den Franzosen Hoffnung vermittelt.

Jean-Marie Le Pen, Gründer der Front National, wollte nie an die Macht. Er war immer nur der Troublemaker, mischte regelmäßig das politische Establishment auf. Seine Tochter Marine Le Pen hat vor vier Jahren die Partei übernommen und hat nur ein Ziel: die Macht! Marine Le Pen will Präsidentin Frankreichs werden. Die Regionalwahl versteht sie als letzte Stufe auf dem Weg dahin.

Auszuschließen kann man nichts mehr. Alle Analysten sind sich nach der Wahl letzten Sonntag einig: Die FN hat kein wirkliches Programm vorzuweisen, eine klare Protestwahl, um Wut und Enttäuschung auszudrücken. Aber das ist zu simpel. Die Wahl zeigt auch, dass es eine politisch-journalistische Klasse in Paris gibt, die von den Wirklichkeiten des Landes abgekapselt scheint.

Die Annahme einer Protestwahl legt nahe, dass sich die enttäuschten Wähler bei der nächsten Runde diesen Sonntag, spätestens bei der Präsidentschaftswahl, wieder beruhigen werden. Das aber ist eher unwahrscheinlich. Aus Politikverdrossenheit ist Politikverachtung geworden. Im fröhlichen Wechsel wurde seit Jahrzehnten rechts und links abwechselnd ge- und abgewählt. Das Modell hat ausgedient. Die Franzosen wollen richtige Veränderung. Die FN verspricht sie, Marine Le Pen ist die Ikone.

Auf Wahlveranstaltungen der Front fällt eines auf: Ihre Anhänger sind jung. Die Statistiken bestätigen den Eindruck. Noch vor wenigen Jahren durfte man sich den FN-Wähler als älteren Menschen aus ländlichen Regionen vorstellen. Das hat sich geändert: 35 Prozent der 18- bis 24-Jährigen – das hat eine Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts vor der letzten Wahl ergeben – waren entschlossen, FN zu wählen.

Bei den Rentnern hat die FN entgegen allen Erwartungen am wenigsten Erfolg. Die Generation, die noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat, widersteht dem rechtspopulistischen Sirenengesang am stärksten.

Sozial hat die FN ihre Wählerschaft über sämtliche Gesellschaftsschichten erweitert. Längst nicht mehr nur die Partei der gesellschaftlich und wirtschaftlich abgehängten Schichten der Bevölkerung, spricht sie inzwischen auch das gut situierte, bourgeoise Milieu an. Erinnern wir uns: Bei der letzten Präsidentenwahl hatten zwanzig Prozent der Firmenchefs für Marine Le Pen gestimmt.

Unter der Führung von Marine Le Pen ist Florian Philippot (Absolvent der Eliteschule ENA) Parteivize geworden. Le Pen hat damit eine Art intellektuelle Öffnung demonstriert. Unlängst hat die FN in einer anderen Eliteschule, Sciences Po, eine studentische Vertretung gegründet. Vor einigen Jahren undenkbar! Alles in allem: die Versuche, der rechtspopulistischen Partei einen Anstrich von Normalität zu geben, haben offensichtlich Früchte getragen.

Wie die heutigen Wahlen ausgehen werden, hängt vor allem von denjenigen ab, die sich beim ersten Wahlgang nicht zu den Urnen bemüht haben. Fünfzig Prozent Wahlbeteiligung besagen, dass die Hälfte der Franzosen nicht zur Wahl gegangen ist.

In Wahrheit ist deshalb nicht die FN Frankreichs stärkste Partei, sondern die große Masse der Wahlverweigerer. Die Ursachen der Verweigerung liegen im tief sitzenden Misstrauen gegenüber einer Politikerklasse, die unter den letzten beiden Staatspräsidenten ihre politische Glaubwürdigkeit verspielt hat.

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