09.06.2014

Pierre MathiasLiebe Kunstliebhaber,

vom 28. Juni bis 31. Oktober 2014 findet die Manifesta in Sankt Petersburg statt und wird von Kasper König kuratiert. Es ist eine Ausstellung von zeitgenössischen Werken, die jedes Jahr in einer anderen europäische Stadt stattfindet. Heuer verursacht sie viel Wirbel, weil sich die Künstler und auch das Publikum die Frage stellen, ob es adäquat sei in einem Land Präsenz zu zeigen, dass die Schwulen und Lesben diskriminiert und die Krim gegen das Völkerrecht annektiert hat? Der Kurator hat die Meinung, dass die Kunst sich nicht einfach zurückziehen kann wenn es heikel wird – im Gegenteil: sie soll ein Manifest für mehr Freiheit und gegen die Willkür sein. Ich kann diese Meinung vollziehen, weil sie auf jeden Fall mehr Wirkung zeigen könnte als den Schwanz einzuziehen, aber das nur unter der Voraussetzung, dass diese Fragen offensiv angesprochen und thematisiert werden. An Öffentlichkeit wird es nicht fehlen.

Es ist an der Zeit, dass sehr viel mehr Kunstschaffende und Intellektuelle aus der inneren Immigration auftauchen. Das Gejammere von vielen Kreativen ist einfach unerträglich. Es kann nicht sein, dass sie solch eine Passivität zeigen und das nur mit dem Argument, dass sie nicht gehört werden. Wenn es der Fall ist, sollen sie das Maul aufreißen und auf die Barrikaden gehen, die Manifesta bietet ihnen ein Forum. Sie dürfen nie vergessen, dass Kunst nie neutral sein darf. Sie ist Teil der Politik, weil sie ein Seismograph des Geschehens ist und sie hat gezeigt, welche Bedeutung sie hat. Das geht von den russischen Konstruktivisten, die die Erneuerung ihres Landes in Gang setzen wollten bis zu den Aktionen vom chinesischen Künstler Ai Weiwei, der gegen die Korruption der politischen Klasse seines Landes kämpft. Er ist nicht ausgewandert und leidet sehr unter den Repressalien. Für ihn kann sein Widerstand nur erfolgreich sein, wenn er sich nicht zurückzieht. Ein Kämpfer kann sich nicht ducken, Hut ab!

Es ist in diesem Zusammenhang abwegig zu fragen, ob die Kunst die Politik braucht und umgekehrt. Ein großes Ja wäre meine Antwort. Da sie sich aber frei artikulieren soll, taucht die zweite Frage auf: soll sie von öffentlichen Geldern abhängig sein? In der Tat eine delikate Frage. Wenn Steuergelder fließen, ist man eine Rechenschaft schuldig und auf der anderen Seite geht es nicht ohne Geld. Diese Lage ist für jeden Schaffenden schwer abzuschätzen. Ob man es will oder nicht, sind die meisten unter ihnen Bittsteller und das bekommt ihnen sehr schlecht. Sie können sich ein Bohemien-Outfit zulegen, daran wird sich nichts ändern. Nur wenn sie den Mut haben öffentlich aufzutreten, können sie sich rehabilitieren und diese Möglichkeit bietet ihnen die Maifesta in Sankt Petersburg an. Dort können sie gegen das Regime von Vladimir Putin wettern, sich mit Andersdenkenden konfrontieren. Wer sich solch ein Forum erwünscht, muss trotz Bauchkrumen diese Biennale schlucken. Liebe Kunstliebhaber, ich wäre für eure Meinung dankbar, da es mir nicht leicht gefallen ist, diese These zu vertreten.

//pm

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