Sie saß am See, ließ sich von den sanften Wellen die nackten Füße umspülen. Mit dem Takt der Wellen wehten auch ihre langen blonden Haare im Wind. Durch die Zweige der Weide, unter welcher sie saß, brach ein Strahl Sonnenlicht. Sie streckte ihren blassen Arm aus, ließ diesem vom Licht kitzeln, betrachtete, den Kopf zurück geneigt, das Wechselspiel der rauschenden Blätter, der darüber ziehenden Wolken und des Lichtes.

Niemand wusste, dass sie hier war. Es war verboten, sich hier oben aufzuhalten. Schon seit Urväter Zeiten her, Tausenden von Jahren. Die Alten erzählten es, eine Sage, im Unterricht hatten sie es gelernt. Damals, vor vielen Tausend Jahren, als die Menschen durch einen sogenannten Atomkrieg ihre Welt zerstört hatten. Zurück war nur eine Wüste geblieben, lebensfeindlich strahlend. Alles Leben tötend, was auch nur in ihre Sphäre kam. Sie kannte die alten Bilder auf den Computerschirmen. Wie trostlos das alles gewesen sein musste! Eine kleine Schar Pioniere hatte sich damals aufgemacht unter die Erde, hatte die Alte Welt verlassen, um dort unten eine schöne neue zu gründen. Viele Epochen waren seitdem vergangen. Dynastien der Neuen Welt hatten sich abgewechselt. Alles war streng geregelt.

Sie mochte ihr Zuhause dort unten. Alles war so klar, so hell und von bunten Lichtern angestrahlt. Sauber, nicht etwa so schmutzig wie es in der Alten Welt gewesen sein musste. Alles grau und dreckig! Als Kinder waren sie einmal ausgebüxt, Pirol und sie. Wie lange war das schon wieder her! Pirol, ihr Schulfreund, hatte eine versteckte Klappe am Himmel in einem versteckten Winkel der Neuen Welt gefunden. Sie waren hinausgestiegen. Eine vergessene Ecke, keine Wachposten, niemand interessierte sich mehr dafür. Seitdem waren sie immer wieder hinaufgestiegen, erst sie beide, jetzt war Antonia alleine hier.

Pirol hatte nach der Schule Karriere gemacht, war jetzt in Regierungskreisen der Neuen Welt angestellt. Ein hohes Tier! In einer ruhigen Minute beschwor er sie, von ihren damaligen Abenteuern nichts zu verraten. Man würde ihn verhaften, einkerkern für den Rest seines Lebens. Ein weltweiter Skandal! Sie hatte ihm ihr Ehrenwort darauf gegeben, hatte geschwiegen. Was sie beide betraf …

Von da an ging sie alleine hinauf, hoch in ihr Paradies. Es gehörte ihr alleine. Ganz alleine! Zweimal wäre es ihr fast an den Kragen gegangen: Vor drei Jahren hatte sie vergessen, ihren Aufenthaltsort rechtzeitig zu bestätigen. Die Überwachungsbehörde hatte Alarm der Stufe eins geschlagen. Bei der Überprüfung ihres Senders hatte man festgestellt, dass der Akku zu schwach war. Technisches Versagen! „Kann passieren“ meinte damals der Offizier mit einem Lächeln … Das andere Mal, etwa vor eineinhalb Jahren, musste sie sich im Büro der Abteilung Computerüberwachung melden. Ihre zulässige Zugriffsanzahl auf ein bestimmtes Thema, nämlich ´Alte Welt´, war überschritten. Ihr übermäßiges Interesse an diesem eigentlich nur für Schulzwecke erlaubten Thema musste sie erläutern. Sie log, ob man ihr glaubte, wusste sie nicht. Eine wissenschaftliche Abhandlung über die Vorzüge der Neuen Welt und die Fortschritte seit Auszug aus der alten. Eine weitere Datei für die Geschichtswissenschaft. Keiner hatte mehr nachgefragt …

Wie hätten sie es auch verstehen sollen?! Dort unten war ihre, die Neue Welt. Alle glaubten, die alte, todbringende, sei hier oben. Aber das war sie nicht. Hier war ein Paradies, mit grünen Pflanzen, großen und kleinen, blauem klaren Wasser, frischer Luft und sanften Licht. Sie lauschte den Vögeln, sah sie umherfliegen. Gab es die Alte Welt vielleicht gar nicht?! War diese nur ein Vorwand, um die Menschen davon abzuhalten, hier hinaufzukommen? Sie wusste es nicht. Es war ihr Paradies!

Ihr Piepser signalisierte ihr, dass die nächste Meldung des Aufenthaltsortes anstand.

Zeit, zurückzukehren in die Neue Welt!

 

© Thomas Dietsch

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