Der Michel liebt seinen Vorgarten. Das war schon vor ewigen Zeiten so. Und wenn die Sonne herauskommt, die ersten Knospen sprießen, dann werden die Michel ganz rege. Sie buddeln im Garten, schaufeln, harken und rechen. Die Nestumgebung wird dann wieder schön und adrett gemacht. Und an den Gartenzäunen aalen sie sich in der Sonne und betreiben Konversation. Die Michel beschäftigen viele Themen. In dieser ruhigen, kleinen Seitenstraße bekommt man vom Stadtleben nicht so viel mit, aber man ist informiert über das Weltgeschehen. Und die Geschichte … und vor hundert Jahren hat man die jungen Männer in den Krieg geschickt. Und sie zogen! Die beiden Michel sinnieren hierüber …

Vor hundert Jahren, 1914, haben sie die junge und erwartungsvolle Männergeneration an die Fronten geschickt und verheizt. Eigentlich undenkbar, was hat die damals bloß angetrieben?!

Das waren andere Zeiten. Kaiserreich, Imperialismus, Geltungsdrang auf internationaler Ebene, Nationalismus, Kolonien. Alles Vergangenheit heute …

Glaube, nicht alles. Die Beweggründe sind oft die gleichen oder zumindest ähnlich. Die Mittel sind anders geworden. Man erschießt nicht mehr, macht wirtschaftlich kaputt. Sanktionen, Computerviren usw. Alles ein wenig humaner, aber nicht minder wirksam!

Humaner? Dass ich nicht lache! Was ist so human, wenn Bevölkerungen aufgrund von Sanktionen hungern müssen? Wenn diese überhaupt greifen. Putin beispielsweise lacht doch über die EU-Sanktionen wegen der Krimkrise.

Besser hungern, als Tausende oder Millionen für ein paar Quadratmeter Erde in Fetzen zu sprengen, oder?! Wer zurückkam, war traumatisiert für den Rest seines Lebens, wenn er überhaupt noch körperlich unversehrt war.

Muss man sich gegenseitig verletzen? Egal in welcher Form? Wann hört das auf? Gut, heute gehen wir nicht mehr aufeinander los wie damals. Das ist heute moderater. Warum auch immer …

Warum? Weil wir keine gemeinsamen Werte mehr haben, deshalb!

Du meinst umgekehrt?

Nein, war schon so gemeint! Früher gab es gemeinsame Werte. Die Nation, der Preuße hatte Attribute, das Ausland beispielsweise, war schlecht. Ja, das ist nationalistisch, klar! Aber durch diese kollektiven Werte waren die Menschen leichter lenkbar. Ein paar Schlagwörter, nationalistischer Taumel, „Schlachten auf blutbetauten Wiesen“, Blitzkrieg. Und die liefen in die Sperrfeuer zu Tausenden …

Haben wir heute keine gemeinsamen Werte mehr?

Ich glaube, das ist subjektiver geworden. Unter Werten wie Treue, Vaterlandsliebe und so Zeug versteht nach meiner Meinung heute jeder etwas anderes. Und deshalb ist es auch nicht mehr so einfach, Leute von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen.

Du glaubst, es gibt keine nationalen Werte mehr? Was ist mit Patriotismus?

Keine Ahnung. Schwer, im Zuge von Europa, oder?! Wenn, dann maximal Verfassungspatriotismus. Hat Richard von Weizsäcker mal gesagt …

Die Verfassungswerte sind vielen Bürgern doch nicht mehr geläufig. Wie soll das gehen?

Das ist es doch, was ich sage: von staatlichen Werten kannst du heute jemanden schwer überzeugen. Spaßgesellschaft, Individualismus, Identifikation über Titel und Besitztümer. Ob das immer so gut ist, steht auf einem anderen Blatt.

Wie steht es mit deinem Patriotismus zu gutem Bier?

Ich bin noch von der alten Schule, sehr leicht zu überzeugen. Reich rüber …

© Thomas Dietsch

 

 

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