Seit April saß die deutsche Journalistin Mesale Tolu in einem türkischen Gefängnis – nun darf sie die Haftanstalt verlassen. Das hat ein Gericht in Istanbul entschieden. Neben Tolu dürfen fünf weitere Inhaftierte das Gefängnis verlassen.

Allerdings erließ das Gericht gegen alle sechs Angeklagten eine Ausreisesperre (SPON). Tolu wird damit bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, muss sich aber jede Woche bei der Polizei melden. Der Prozess wird im April nächsten Jahres fortgesetzt.

Die Staatsanwaltschaft in Istanbul hat die Freilassung der deutschen Journalistin aus der Untersuchungshaft gefordert. Auch die fünf anderen inhaftierten Angeklagten sollen der Staatsanwaltschaft zufolge während des Verfahrens auf freiem Fuß sein. Das teilten Beobachter aus dem Gerichtssaal übereinstimmend mit.

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat die Freilassung der deutschen Gefangenen in der Türkei verlangt und die Bundesregierung zu einem härteren Kurs aufgefordert. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sei „ein Despot, der dabei ist, eine islamofaschistische Diktatur zu errichten“, sagte Wallraff am Montag kurz vor der Fortsetzung des Prozesses gegen die deutsche Journalistin Mesale Tolu der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. „Er versteht nur eine Sprache, bei der man ihm auch die Stirn bietet“. Wallraff war als Prozessbeobachter nach Istanbul gereist.

Tolu kommt nach mehr als sieben Monaten in türkischer Untersuchungshaft frei. Das entschied das zuständige Gericht in Istanbul und folgte damit der Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie und fünf weitere inhaftierte Angeklagte wurden unter Auflagen freigelassen.

Meşale Tolus Freilassung ist ein Grund zur Freude. Man kann nur ahnen, was die Verhaftung beider Elternteile für Tolus kleinen Sohn bedeutet hat; dass er mit Vater und Mutter wiedervereint ist, außerhalb von Gefängnismauern, ist in der Tat eine „immense Erleichterung“, wie es der Außenminister nennt. Ein Grund, der türkischen Justiz zu applaudieren, besteht nicht.

Erstens ist unklar, inwieweit die Freilassung eine freie Entscheidung des Gerichts war – oder ob es, wie im Fall Peter Steudtner, eine Ansage aus dem Präsidentenpalast gab. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Richter politische Vorgaben ausführen – das liegt am miserablen Zustand des türkischen Rechtsstaats. Das Vertrauen in die Justiz ist beschädigt, und Terrorprozesse wie der gegen Meşale Tolu tragen nicht dazu bei, es wieder herzustellen.

Zweitens ist Tolu keineswegs frei. Sie darf nicht ausreisen, erst im April wird weiterverhandelt, Ausgang ungewiss.

Und dann sind da auch noch die anderen Deutschen, die aus politischen Gründen in Haft sind oder nicht ausreisen dürfen. Deniz Yücel wartet seit mehr als 300 Tagen auf eine formale Anklage, und noch immer ist nicht klar, welche Richtung sein Fall nehmen wird. Darf er auf Freilassung hoffen? Bleibt er in Haft, als Faustpfand Ankaras? Yücel selbst hat stets nur eines gefordert: ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Je zügiger, desto besser.

Es ist ein gutes Zeichen, keine Frage. Nicht nur weil bald Weihnachten ist. Die Familie Corlu-Tolu vereint unterm Weihnachts – oder nach türkischem Brauch Neujahrsbaum -, statt getrennt im Gefängnis. Die dünne Anklageschrift, die mageren Beweise, die windigen Zeugen – nichts hätte nach unseren Maßstäben gerechtfertigt, dass Mesale Tolu in Untersuchungshaft bleiben muss.

Aber unsere Maßstäbe gelten in der heutigen Türkei nicht – und die Gefahr für das Glück der Freiheit ist noch nicht vorüber. Wenn der Prozess im neuen Jahr fortgesetzt wird, drohen Mesale Tolu und ihrem Ehemann Suat Corlu immer noch lange Haftstrafen. Und niemand weiß, welchen Kurs die türkische Justiz dann verfolgt.

Hart gegen Journalisten und Oppositionelle oder versöhnlich, auch gegenüber dem Ausland?

Genauso lässt sich nur spekulieren, was den Ausschlag für ihre Freilassung gegeben hat. War es der politische Druck aus Deutschland, am Montag sogar verkörpert durch die Anwesenheit des Botschafters -, oder vielleicht doch ein Rest von Rechtsstaatlichkeit?