Die ganze Welt in der Hosentasche – an diesem 15. August 1996, heute vor 20 Jahren, wurde das erste Smartphone verkauft.

Die Hand gewölbt, den Blick gesenkt, den Kopf leicht zur Seite geneigt: Die Smartphonenutzer nehmen seltsame Posen ein. Ernst sehen sie aus, hoch konzentriert, andächtig. Ganz für sich bleiben sie auch, obwohl sie sich in bester Gesellschaft befinden, mit der Familie zu Tisch, mit Freundinnen in der Küche, mit dem Liebsten im Bett. Die Smartphone-Welt ohne Smartphones: ein Zombie-Szenario!

Ein Paradoxon: ein mobiles, omnipräsentes, fast omnipotentes Kommunikationsmittel, das bei genauerem Hinsehen weniger der Kommunikation als der Selbstbestätigung dient.

Die Whatsapp-Nachrichten, die schnelle Mail zwischendurch, die Selfies, die Tweets, das Bestätigungshäkchen, die Facebook-Freunde, die Likes: Sie verbinden einen mit der Welt, aber vor allem generieren sie Aufmerksamkeit. Es plingt, brummt, surrt, ja, ich bin ja noch da. „Ich kommuniziere, also bin ich!“ Könnte von René Descartes sein … Ich kommentiere, also nehme ich teil an der Gegenwart.

Die Statistik verzeichnet 50 Millionen Mobilfunknutzer in Deutschland, rund zwei Milliarden weltweit – Tendenz steigend! „Wer nicht wahrgenommen wird, den gibt es nicht“, schreibt der Medientheoretiker Florian Rötzer. Aber schon vor 20 Jahren rückte die Angst, im unaufhörlichen Strom der News und Bilder unterzugehen, langsam ins Bewusstsein.

Die Globalisierung der Medienwelt brachte es mit sich, dass die Konkurrenz unendlich groß wurde. „The whole world is watching“. Wahrnehmung ist begehrtes Gut: Jeder kennt das, bei der Arbeit, zu Hause. Längst gibt es Mobilfunk-Knigges über die Frage, wie lange sich die Nichtbeantwortung einer Nachricht noch in den Grenzen der Höflichkeit hält. Politiker wissen: Wer nicht twittert, bringt sich um Wahlchancen.

Ich, Ich, Ich … Die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit ist uralt, hat nur ein neues Medium gefunden. Das Smartphone übernimmt die Funktion eines Spiegels, in dem wir uns der eigenen Existenz versichern – und der Nähe zu anderen, zumindest virtuell.

Ein weiteres Paradoxon: Der Widerspruch zwischen Entgrenzung und Verortung. Jedes Ereignis, und sei es noch so weit weg, jede Katastrophe, jeder Anschlag, jedes Fußballspiel, lässt sich in Echtzeit verfolgen. Wir sind jederzeit überall, stecken die Welt in die Tasche, und wer sich meldet, den fragen wir als Erstes: „Wo bist du?“.

Die Digital Natives verorten sich unentwegt, schicken die Urlaubs-Selfies mit dem Eiffelturm oder dem Alpengipfel im Bildhintergrund herum, als Beweis! Hier, genau hier bin ich gerade. Nicht wenige der in Deutschland über 100 Millionen abgesetzten Textnachrichten pro Tag dienen dazu, einen analogen Geschäftstermin oder ein Date zu verabreden, sich auf dem Bahnsteig zu finden. Und eine neue Studie der Southern University of California belegt: Wer beim Konzert mit dem Smartphone fotografiert, tut dies zur Steigerung der Erlebnisintensität. Nicht etwa, um hinterher die Fotos gucken zu können, sondern um den analogen Moment zu feiern.

Als die Handys aufkamen, noch ohne Internet, stülpte sich das Privatleben in den öffentlichen Raum. Unsereiner telefonierte am Bahnhof oder Flughafen, gab seine Privatsphäre in weiten Teilen auf. Die Entgrenzung der Intimsphäre bleibt ein Phänomen der Gegenwart.

Noch ein Widerspruch: der zwischen Arbeit und Freizeit. Weil das Smartphone ein mobiles Büro ist, versteht es sich längst von selbst, kleine Unterwegs-Zeitfenster für schnelle Erledigungen zu nutzen. Da wird jede Wartezone zum potenziellen Arbeitsplatz. Über die Steigerung der individuellen und kollektiven Ungeduld im Mobilfunkzeitalter ist viel geschrieben worden, nicht nur, weil Chefs ihre Angestellten bis in die Nacht und den Urlaub hinein verfolgen.

Andererseits ist das Vademecum des Homo digitalis eben auch eine Spielekonsole. Über 23 Millionen Deutsche nutzen Spiele-Apps.

Der Mensch ist kein Multitasker. Wir leiden an „Digital-Burn-Out“. Aber wir spielen gern. Alle 18 Minuten machen wir was mit dem Smartphone, so das Ergebnis einer Studie der Uni Bonn. Im Schnitt! Bei 17- bis 25-Jährigen sind es mehr als drei Stunden pro Tag. Die Attraktion wird zur permanenten Distraktion, wer ständig unterbrochen wird, ist unproduktiv.

In jedem Smartphone-Nutzer steckt ein Universalgelehrter, er trägt ja einen allwissenden Assistenten mit sich herum. Gleichzeitig mutiert er zum Kleinkind, das letzte Paradoxon. Tasten, Tappen, Wischen, Scrollen, Schieben, es entspricht der Gestik eines mit Brei herumschmierenden Babys. Das Smartphone als Leib-Extension, vielleicht sogar als Blindenstock.

Wie schnell sich die Technik doch entwickelte … Man erschrickt über das Tempo. Die junge Generation kann es nicht fassen, dass Ferkel in der „Pu der Bär“-Geschichte vom Hochwasser nicht einfach zum Handy greift, um nach Hilfe zu rufen. Telefone in Räumen mit Kabel?! Gesichter, die Unverständnis ausdrücken …

Happy Birthday, Smartphone!

 

 

Wir telefonieren immer und überall – ist das ein Segen oder ein Fluch für uns und unsere Freundschaften? Wenn manche Bekannte anrufen, dann hupt und schreit es im Hintergrund. Sie telefonieren nämlich von unterwegs. Kaum die eigenen vier Wände verlassen, wird das Smartphone gezückt. Ihre Zeit zu Hause nutzen sie für andere Dinge. Wir haben schließlich wenig davon; zumindest bilden wir uns das ein. Man muss noch etwas für die Uni erledigen, eine Expertise schreiben, Kochen und ähnliches. Abkehr von Fastfood heißt selbst gesund zu kochen. Da bleibt keine Zeit mehr zum Telefonieren. Deshalb erledigen wir das unterwegs – um Zeit zu sparen. Früher wurde auch gekocht. Und zuweilen telefoniert. Hörer am Ohr und rühren … Aber das ist nur etwas für Multitasker. Heute gibt es dergleichen doch mehr als früher. Setzt man jedenfalls so voraus. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass niemand dazumal das Wort kannte und unsere Multitaskingfähigkeiten heute eher ab- als zugenommen haben. Zugestehen will sich das aber niemand. Man ist schließlich modern! Man hat doch mehr zu bieten als die damalige Hausfrau der 1970er Jahre. Das bisschen Hausputz, Einkaufen, drei Kinder zur Schule bringen, abholen, für jene kochen, Verwaltungskram erledigen, Abendessen machen. Peanuts für uns heute, die wir so viel Selfies verschicken müssen, Nachrichten permanent abrufen und das Leben mittels Apps zu meistern haben. Stress pur! Heute ist es wichtig, aufgrund der knappen Zeit unterwegs „auf Draht zu sein“. Manche Freunde warten schon seit ein paar Tagen auf einen Rückruf, andere haben uns eine Whatsapp geschrieben, dass es etwas wahnsinnig Wichtiges zu besprechen gibt. Diese Gespräche in der raren Freizeit zu Hause zu führen, ist für uns undenkbar, wenn wir doch eh zwischen den Bahnhöfen Fulda und Hamburg Hauptbahnhof wegen einer halben Stunde Zugverspätung gefangen sind. Da man über Allnet-Flat verfügt, kann man immer und überall hintelefonieren. Und das nutzt der Zeitgenosse gerne aus. Dass der Empfang im Tunnel manchmal weg ist, man zwischendurch mal nichts versteht, weil der Presslufthammer so laut ist und dass man ab und an unterbrechen muss, wegen was auch immer, nehmen wir in Kauf. Wohlgemerkt: der Anrufer nimmt das willentlich in Kauf. Unsere Gesprächspartner müssen es notgedrungen in Kauf nehmen. Ein Stück Macht über andere! Immer und überall erreichbar – aber auch jederzeit die Möglichkeit, den Knopf zu drücken, wenn man keinen Bock mehr hat.

In den bereits erwähnten 1970ern war es in dieser Republik noch etwas anders. Da kaufte die Familie diese extralangen Kabel, mit denen man das Telefon bis ins Bad mitnehmen konnte. Dort legte man sich gemütlich in die Wanne und telefonierte dann zwei Stunden lang in aller Ruhe den ganzen Freundeskreis durch.

Diese Zeiten sind vorbei. Heute muss alles schnell gehen. Wobei: schneller und sowieso eigentlich besser am schnellsten. Wir nutzen jede Sekunde dafür, irgendetwas zu tun. Telefonate, die wir mit unseren – eigentlichen – Freunden führen, werden zur Belastung im engen Zeitplan. Wir wollen es nicht führen, wir müssen! Wir tun die Dinge des Tuns willen, nicht, weil wir kommunizieren möchten.

Deshalb schieben wir es irgendwo dazwischen, weil uns die Diensteanbieter die Möglichkeit dazu geben. Wir nehmen uns keine Zeit mehr dafür. Und wir nehmen uns dadurch keine Zeit mehr für unsere Freunde. Stattdessen speisen wir sie zwischen zwei Terminen ab.

Ist das im Sinne des Erfinders? Für Freunde sollten wir uns Zeit nehmen. Genauso, wie wir es für uns tun sollten. Wenn wir mal drüber nachdenken, dann müssten wir uns eingestehen, dass es uns nicht schlecht täte, im Zug einfach mal die vorbeirauschende Landschaft zu hypnotisieren oder auf dem Weg sonstwohin nur mal die Eindrücke der Straße in uns aufzusaugen, das Rauschen der Blätter der Bäume zu hören, den Wind im Gesicht zu spüren. Ohne Whatsapp, Nachrichten usw. das Gehirn einfach mal durchzuspülen. Weg mit dem Datenschrott! Einfach nur runterkommen, die Minuten der Ruhe nutzen, um uns zu sammeln. Neue Kraft für kommende Aufgaben. „Non multa, sed multum!“. Das sollte man mal wieder googeln …

© Thomas Dietsch