Wir telefonieren immer und überall – ist das ein Segen oder ein Fluch für uns und unsere Freundschaften? Wenn manche Bekannte anrufen, dann hupt und schreit es im Hintergrund. Sie telefonieren nämlich von unterwegs. Kaum die eigenen vier Wände verlassen, wird das Smartphone gezückt. Ihre Zeit zu Hause nutzen sie für andere Dinge. Wir haben schließlich wenig davon; zumindest bilden wir uns das ein. Man muss noch etwas für die Uni erledigen, eine Expertise schreiben, Kochen und ähnliches. Abkehr von Fastfood heißt selbst gesund zu kochen. Da bleibt keine Zeit mehr zum Telefonieren. Deshalb erledigen wir das unterwegs – um Zeit zu sparen. Früher wurde auch gekocht. Und zuweilen telefoniert. Hörer am Ohr und rühren … Aber das ist nur etwas für Multitasker. Heute gibt es dergleichen doch mehr als früher. Setzt man jedenfalls so voraus. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass niemand dazumal das Wort kannte und unsere Multitaskingfähigkeiten heute eher ab- als zugenommen haben. Zugestehen will sich das aber niemand. Man ist schließlich modern! Man hat doch mehr zu bieten als die damalige Hausfrau der 1970er Jahre. Das bisschen Hausputz, Einkaufen, drei Kinder zur Schule bringen, abholen, für jene kochen, Verwaltungskram erledigen, Abendessen machen. Peanuts für uns heute, die wir so viel Selfies verschicken müssen, Nachrichten permanent abrufen und das Leben mittels Apps zu meistern haben. Stress pur! Heute ist es wichtig, aufgrund der knappen Zeit unterwegs „auf Draht zu sein“. Manche Freunde warten schon seit ein paar Tagen auf einen Rückruf, andere haben uns eine Whatsapp geschrieben, dass es etwas wahnsinnig Wichtiges zu besprechen gibt. Diese Gespräche in der raren Freizeit zu Hause zu führen, ist für uns undenkbar, wenn wir doch eh zwischen den Bahnhöfen Fulda und Hamburg Hauptbahnhof wegen einer halben Stunde Zugverspätung gefangen sind. Da man über Allnet-Flat verfügt, kann man immer und überall hintelefonieren. Und das nutzt der Zeitgenosse gerne aus. Dass der Empfang im Tunnel manchmal weg ist, man zwischendurch mal nichts versteht, weil der Presslufthammer so laut ist und dass man ab und an unterbrechen muss, wegen was auch immer, nehmen wir in Kauf. Wohlgemerkt: der Anrufer nimmt das willentlich in Kauf. Unsere Gesprächspartner müssen es notgedrungen in Kauf nehmen. Ein Stück Macht über andere! Immer und überall erreichbar – aber auch jederzeit die Möglichkeit, den Knopf zu drücken, wenn man keinen Bock mehr hat.
In den bereits erwähnten 1970ern war es in dieser Republik noch etwas anders. Da kaufte die Familie diese extralangen Kabel, mit denen man das Telefon bis ins Bad mitnehmen konnte. Dort legte man sich gemütlich in die Wanne und telefonierte dann zwei Stunden lang in aller Ruhe den ganzen Freundeskreis durch.
Diese Zeiten sind vorbei. Heute muss alles schnell gehen. Wobei: schneller und sowieso eigentlich besser am schnellsten. Wir nutzen jede Sekunde dafür, irgendetwas zu tun. Telefonate, die wir mit unseren – eigentlichen – Freunden führen, werden zur Belastung im engen Zeitplan. Wir wollen es nicht führen, wir müssen! Wir tun die Dinge des Tuns willen, nicht, weil wir kommunizieren möchten.
Deshalb schieben wir es irgendwo dazwischen, weil uns die Diensteanbieter die Möglichkeit dazu geben. Wir nehmen uns keine Zeit mehr dafür. Und wir nehmen uns dadurch keine Zeit mehr für unsere Freunde. Stattdessen speisen wir sie zwischen zwei Terminen ab.
Ist das im Sinne des Erfinders? Für Freunde sollten wir uns Zeit nehmen. Genauso, wie wir es für uns tun sollten. Wenn wir mal drüber nachdenken, dann müssten wir uns eingestehen, dass es uns nicht schlecht täte, im Zug einfach mal die vorbeirauschende Landschaft zu hypnotisieren oder auf dem Weg sonstwohin nur mal die Eindrücke der Straße in uns aufzusaugen, das Rauschen der Blätter der Bäume zu hören, den Wind im Gesicht zu spüren. Ohne Whatsapp, Nachrichten usw. das Gehirn einfach mal durchzuspülen. Weg mit dem Datenschrott! Einfach nur runterkommen, die Minuten der Ruhe nutzen, um uns zu sammeln. Neue Kraft für kommende Aufgaben. „Non multa, sed multum!“. Das sollte man mal wieder googeln …
© Thomas Dietsch