Wahlkampfauftritte im Ausland und in diplomatischen Vertretungen außerhalb der Türkei verstoßen gegen das türkische Wahlgesetz. Dort heißt es in Artikel 94/A: „Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden“.
Laut der Oppositionspartei CHP in der Wahlkommission hat die Regierungspartei AKP selbst das Gesetz 2008 eingeführt.
In dem Gesetz ist aber nicht geregelt, wer dessen Einhaltung kontrolliert und welche Sanktionen bei Verstößen angewendet werden. Deshalb besteht es mehr oder minder nur als moralische Regel. Die Vorgabe wird leider von allen Parteien missachtet. Nicht nur die AKP, auch Oppositionsparteien betreiben immer wieder Wahlkampf im Ausland.
In einem Beschluss vor dem Referendum am 16. April spezifiziert die türkische Wahlkommission (YSK), dass Wahlkampf im Ausland in geschlossenen Räumen nicht gestattet ist. Weiter legt der YSK-Beschluss Nummer 109 vom 15. Februar zum Ausland unter anderem fest, Wahlkampfansprachen seien auch auf offenen Plätzen nicht zulässig. Wahlkampfmaterialien dürften nicht verteilt werden. In Printmedien dürfe keine Wahlwerbung geschaltet werden.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Wahlen beobachtet, sagte, er rate den Herrschaften in Ankara, die sich mit Nazi-Vorwürfen Richtung Berlin überschlagen, einen Blick ins türkische Wahlgesetz zu werfen. Er empfehle der türkischen Regierung daher „verbale Abrüstung und die Einhaltung der eigenen Gesetze“.
Die AK-Partei äußerte sich auf dpa-Anfrage nicht zu dem Thema. Die türkische Regierungspartei hatte kürzlich kritisiert, Veranstaltungen mit Abgeordneten und Ministern seiner AKP würden in der Bundesrepublik systematisch verhindert, zeitgleich würden Veranstaltungen türkischer Oppositioneller von städtischen Einrichtungen unterstützt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Deutschland in dem Zusammenhang „Nazi-Praktiken“ vorgeworfen.
Die OSZE-Wahlbeobachtermission hatte nach der Parlamentswahl vom November 2015 bemängelt, dass sich die türkische Wahlkommission im Fall einer Beschwerde über Auslandswahlkampf für nicht zuständig erklärt und auf die Staatsanwaltschaft verwiesen hatte. Die OSZE erklärte dazu, nach türkischem Gesetz sei Wahlkampf im Ausland keine Straftat, sondern ein Verwaltungsverstoß innerhalb der Zuständigkeit der Wahlkommission. Laut OSZE hatten 2015 die AKP, die CHP und die pro-kurdische HDP Wahlkampf im Ausland betrieben.
Die aktuellen Auftritte türkischer Minister in Deutschland wurden von der AKP beworben. Auf einem Veranstaltungshinweis etwa für den Auftritt von Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg stand neben Namen und Logo der AKP: „Unsere Entscheidung lautet Ja“. Damit wird bei den Türken in Deutschland um Zustimmung zu dem von Staatschef Erdogan angestrebten Präsidialsystem beim Referendum am 16. April geworben. Cavusoglu war am 7. März in der Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg aufgetreten.
Die Spannungen zwischen Berlin und Ankara nehmen zu. Am Donnerstagnachmittag hat die baden-württembergische Stadt Gaggenau einen Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag aus Sicherheitsbedenken abgesagt. Das türkische Außenministerium bestellte daraufhin den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, ein. Bozdag selbst ließ ein Treffen mit Bundesjustizminister Heiko Maas platzen. Darüber hinaus lehnte die Stadt Köln eine Anfrage für einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci am Sonntag ab.
Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist wegen der Inhaftierung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel derzeit ohnehin belastet. Der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, sprach nach dem Auftrittsverbot für Bozdag von einer „Skandal-Entscheidung“.
Das Ertragen von Unerhörtem gehört zur Demokratie, auch wenn es eine ihrer anstrengendsten Herausforderungen ist. Und der Rechtsstaat muss sich an seine Regeln halten, gerade, wenn er sich von einem Staat unterscheiden will, der Recht nur behauptet (Süddeutsche Zeitung).