Nach der Völkermord-Resolution des Bundestags hat der türkische Präsident Erdogan seinen Ton gegenüber Deutschland verschärft. Deutschland sei „das letzte Land“, das über einen „sogenannten Völkermord“ der Türkei abstimmen dürfe, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am gestrigen Abend in Istanbul. Zunächst solle Deutschland Rechenschaft über den Holocaust und über die Vernichtung von über 100.000 Herero in Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts ablegen. Der Völkermord an den Herero und Nama geschah während und nach der Niederschlagung von deren Aufständen gegen die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika in den Jahren 1904 bis 1908.
Die Bundesregierung äußerte sich in Berlin zu Erdogans Aussagen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, dass es sich bei der Resolution, in der das Massaker der Türkei an den Armeniern vor 101 Jahren als Völkermord bezeichnet wird, „um die souveräne Entscheidung eines eigenständigen Verfassungsorgans“ handle. Dies habe Bundeskanzlern Angela Merkel Erdogan in ihren Gesprächen auch klargemacht.
Erdogan erneuerte auch seine Angriffe auf türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag. „Manche sagen, das seien Türken“, sagte Erdogan. „Was denn für Türken bitte? Ihr Blut muss durch einen Labortest untersucht werden.“ Den Grünen-Vorsitzenden Özdemir, der zu den Initiatoren der im Bundestag verabschiedeten Resolution gehörte, nannte Erdogan einen „Besserwisser“.
Die Bundesregierung stellte sich vor ihre Parlamentarier. Vorwürfe von türkischer Seite zur Verbindung türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter zur kurdischen Arbeiterpartei PKK wies die Regierung zurück. In Deutschland werde die kurdische PKK als terroristische Organisation eingestuft. „Wenn jetzt durch Äußerungen aus der Türkei einzelne Abgeordnete des Deutschen Bundestages in die Nähe des Terrorismus gerückt werden, so ist das für uns in keiner Weise nachvollziehbar“, so Regierungssprecher Seibert.
Die Türkische Gemeinde kritisierte die Äußerungen Erdogans. Morddrohungen und Bluttestforderungen seien abscheulich, so der Bundesvorsitzende des Verbandes. Er habe geglaubt, die Definition von Menschen nach Blut habe 1945 aufgehört. Erdogans Äußerung sei absolut deplatziert.
Schon Ende letzter Woche hatte Erdogan harte Kritik an der Einstufung der 1915 von türkischen Truppen verübten Massaker an den Armeniern als Völkermord geübt und besonders die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten angegriffen, die für die Resolution gestimmt hatten. Ihnen warf er gemäß Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.
Integrationsministerin Aydan Özugus (SPD), welche ebenfalls ins Visier türkischer Kritiker geraten war, warb für Verständnis: „In Deutschland nehmen wir, glaube ich, zu wenig wahr, was dort eigentlich weit über extremistische Kreise hinaus gedacht und gefühlt wird – dass das nämlich wirklich eine echte Enttäuschung gerade darstellt.“
Grünen-Chef Özdemir hatte der WELT AM SONNTAG von Bedrohungen von türkischer Seite berichtet. „Es gibt leider auch eine türkische Pegida“, sagt der Politiker zur Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen. Rechtsradikalismus sei kein deutsches Privileg. Es gebe ihn leider auch in der Türkei und unter Deutschtürken. Die Berliner Polizei hat Medienberichten zufolge ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs Wohnung erhöht.
Özdemir hatte sich wiederholt kritisch zum Kurs der Türkei unter Präsident Erdogan geäußert. Er ist einer der Initiatoren der am 2. Juni vom Parlament beschlossenen Resolution, in der die Deportationen und Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft wurden.
Erdogan zeigte sich enttäuscht von Kanzlerin Merkel: Er verstehe nicht, warum jene es nicht geschafft habe, soviel Einfluss auf ihre Partei auszuüben, dass diese gegen die Resolution stimme.
Er warnte, Deutschland könne einen „wichtigen Freund“ verlieren und verwies auf Millionen türkischstämmiger Menschen in Deutschland. Sanktionen gegen Deutschland wolle er nicht ausschließen.
Fazit: Präsident Erdogan ist sehr dünnhäutig. Im Austeilen knallhart, einstecken kann er nicht, wie der Fall Böhmermann und über 1.800 in der Türkei laufende Strafverfahren uns lehren. Souveräne Staatsführung geht anders!