Wie weit bin ich selbst noch Individuum?
Die Gesellschaft frisst jegliche Einzigartigkeit.
Zinnsoldaten defilieren allmorgendlich in den Straßen,
brav in Reihe, auf Linie gebracht.
Versuche es, frei zu schreiben,
es gelingt mir nicht.
Wie Kleber vom Fliegenfänger
ziehen sich Schlieren von meinen literarischen Stiefeln.
Keine Bewegungs- und Beinfreiheit mehr,
Korsette für Gedanken.
Ein riesiges Spinnennetz aus
Moral, Ethik und Normen.
Authentisch zu sein
in konformistischen Häuserzeilen ist schwierig.
Die Tinte ist zu dick,
um flüssige Worte zu Papier zu bringen.
Der Kopf wie ein Vogelkäfig ohne Tür.
In ihm zwitschert es, Durst nach Freiheit.
Zu wenig Platz hinter den Stäben,
um die Flügel der Poesie auszubreiten.
Gesellschaftskritisch zu sein
ist nur innerhalb der Normen der Gemeinschaft möglich.
Großgeworden im Gefüge derer bedeutet auch
leben hinter Stahlwänden aus Selbstzensur.
Kritik an der Gesellschaft muss gesellschaftsfähig sein,
das langweilt irgendwann, ganz flach und platt.
Vorbeifließend wie Stromschnellen ist die literarische Seele,
vom Ursprung bis zur Mündung.
© Thomas Dietsch