Es war niemand wirklich überrascht: Seit Tagen steht fest, dass die Zentralregierung in Madrid bei ihrer Kabinettssitzung die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona beschließen würde. Die meisten Besucher der Bars in Katalonien, die das Wochenende bei Kaffee und einer Plauderei mit Gleichgesinnten begannen, schienen es gleichgültig hinzunehmen, es gab keine Proteste.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein wichtiges Prinzip im Völkerrecht, aber ebenso der Schutz der territorialen Integrität eines Staates. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung nimmt vor allem das erste für sich in Anspruch, die spanische Zentralregierung dagegen das zweite. Ein Recht auf Sezession gibt es nach dem Völkerrecht nicht, es sei denn, beide Seiten einigen sich darauf, was in Katalonien nicht der Fall ist.
Nicht immer ist die Bildung neuer Staaten ein Problem. Als sich Tschechen und Slowaken 1992 trennten, geschah das in gegenseitigem Einverständnis. Als sich die Völker Afrikas in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts für unabhängig erklärten, leisteten die Kolonialmächte zwar zum Teil Widerstand, doch das Selbstbestimmungsrecht der Völker war bei den Vereinten Nationen leitendes Prinzip.
Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes setzt voraus, dass es ein Volk gibt, das sich auf dieses Selbstbestimmungsrecht berufen kann. Ein Bevölkerungsteil innerhalb eines Nationalstaates, auch wenn er eine gewisse eigene Identität hat, ist kein Volk im Sinne des Völkerrechts, das sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen kann (Stefan Talmon, ordentlicher Professor für Völkerrecht in Bonn).
Das Kosovo hat sich 2008 von Serbien für unabhängig erklärt, der völkerrechtliche Status ist nach wie vor ungeklärt. Serbien betrachtet das Kosovo nach wie vor als Teil seines Staatsgebiets. Der Internationale Gerichtshof kam 2010 zwar zu dem Ergebnis, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verstoße nicht gegen das Völkerrecht, der Gerichtshof legte sich aber in der Statusfrage nicht fest und bestätigte die UN-Resolution 1244, die die Souveränität und territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, deren Rechtsnachfolger Serbien ist, garantiert.
Andererseits wurden inzwischen Fakten geschaffen: Mehr als die Hälfte der fast 200 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben das Kosovo inzwischen als eigenständigen Staat anerkannt. Spanien ist allerdings bis heute nicht darunter, eben weil die Madrider Regierung einen Präzedenzfall für Katalonien und möglicherweise andere nach Unabhängigkeit strebende Gebiete befürchtet.
Ein anderer Fall ist Schottland. Die britische Regierung war rechtlich nicht zu einem Referendum über eine schottische Unabhängigkeit gezwungen. Dennoch ließ sie 2014 eine Volksabstimmung in Schottland zu, um die Frage politisch zu klären. Eine Mehrheit von rund 55 zu 45 Prozent votierte dazumal für den Verbleib im Vereinigten Königreich.
Zurück zu Katalonien: Von einer Unterdrückung der Katalanen und deren Kultur kann heute – anders als zu General Francos Zeiten – keine Rede mehr sein. Katalonien genießt weitgehende Autonomie. Weder im spanischen Verfassungsrecht, noch im Völkerrecht gibt es einen Rechtsanspruch auf Unabhängigkeit. Die katalanischen Separatisten können verfassungsrechtlich nicht einen eigenen Staat aus ihrer Region machen. Es widerspricht dem Völkerrecht, da sie Autonomierechte genießen. Käme Katalonien mit einer Abspaltung durch, wären die Folgen fatal: Stellte man Verträge, die Staaten geschlossen haben, zur Disposition, erzeugt dies neue Konflikte, wir riskieren möglicherweise wieder Krieg in Europa.
Nicht nur das Völkerrecht, auch europäisches Recht schützt eher den Status quo. In Artikel 4 des Vertrags über die Europäische Union steht, dass die Staaten „ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt“, achten – sowie ihre territoriale Unversehrtheit. Will sagen: Abspaltungen sind unerwünscht! Völkerrecht wird von bestehenden Staaten gemacht. Deshalb ist es im Bereich der staatlichen Integrität resistent gegen Veränderungen (Stefan Talmon).
Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte bereits, Katalonien könne nicht am Tag nach der Abstimmung Mitglied der Europäischen Union werden. Es müsse sich neu um die Mitgliedschaft bewerben, um den Euro und den Zugang zum europäischen Binnenmarkt, die es bei einem Austritt aus dem spanischen Gesamtstaat verlieren würde.
Die katalanischen Separatisten haben schlechte Karten. Die Selbstverwaltung der Region werde nicht außer Kraft gesetzt, so der spanische Ministerpräsident. Es gehe nicht gegen die Autonomie der Katalanen, sondern man wolle, dass das Interesse aller Katalanen gewahrt werde.