In den östlichen Bundesländern gibt es überproportional viele Anschläge auf Flüchtlingsheime. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist der Anteil der entsprechenden Delikte entschieden höher als in den übrigen Bundesländern.

In keinem Bundesland ist es so schlimm wie in Sachsen. Rund fünf Prozent der Bevölkerung Deutschlands leben im Freistaat. Seit Januar 2015 wurden dort knapp 18,5 Prozent aller Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verübt. Kein anderes Bundesland erreicht diese Quote.

In absoluten Zahlen liegt Sachsen auch vorn. 229 solcher Straftaten hat unter anderen Pro Asyl seit Beginn letzten Jahres erfasst. Nur in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, waren es mit 252 mehr. Allerdings liegt der Anteil von NRW an den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte unter dem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Nach den Vorfällen von Bautzen und Clausnitz sagte der sächsische Ministerpräsident Tillich: „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.“ Warum gibt es in Sachsen so viele Verbrecher?

Der frühere Bundestagspräsident Thierse erklärt den ausgeprägten Fremdenhass mit den „radikalen Umbrüchen der letzten Jahre. Wer in den vergangenen 25 Jahren so viele Veränderungen überstehen musste, ist offensichtlich weniger gefestigt in seinen demokratischen und moralischen Überzeugungen“ (Funke-Mediengruppe).

Was sind die Gründe für die Fremdenfeindlichkeit der Sachsen?

  • Die Sachsen definieren sich seit ewigen Zeiten als Gegenpol zu den „Preußen“ in Berlin. Die Folge war eine Art negatives Selbstbewusstsein, das in der DDR einen regelrechten Aufschwung erfuhr: Man ist Sachse in Abgrenzung zu anderen, nicht im Bewusstsein der eigenen Leistungen.
  • Der Rechtsstaat, an dem die Westdeutschen sich über Jahrzehnte abgearbeitet und den sie dabei mehrheitlich schätzen gelernt haben, ist für viele in Ostdeutschland bis heute ein Importprodukt. Sachsen wurde bis 2008 von Westdeutschen regiert, damit länger als jedes andere der neuen Bundesländer.
  • Schon zu DDR-Zeiten gab es Rechtsradikalismus, über den wegen des staatlich verordneten Antifaschismus genauso wenig diskutiert wurde wie über den Nationalsozialismus. Folge: Das politische Tabu, mit dem rechtsradikale Parteien in der Bundesrepublik belegt sind, ist in Ostdeutschland weniger ausgeprägt. Auch nach der Wende setzten die CDU-Ministerpräsidenten des Freistaats auf das sächsische Selbstbewusstsein. Rechtsradikale Tendenzen wurden ignoriert und wegdiskutiert. Eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Rassismus in Sachsen fand nicht statt, im Gegenteil: Fremdenfeindliche Tendenzen wurden nicht tabuisiert, sondern nur aufgegriffen. Der Islam gehöre nicht zu Sachsen, so Ministerpräsident Tillich in einem Interview vor einem Jahr.
  • Die Rechten kamen, Motivierte und Gebildete gingen: Wie andere ostdeutsche Bundesländer litt auch Sachsen nach der Wende unter einem Braindrain. Der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, sagt, in den Dörfern des Freistaats herrsche zum Teil die Stimmung einer Männer-WG. Idealer Nährboden für Rassismus! Der Neid der zu kurz Gekommenen …
  • In Teilen ist der Rechtsradikalismus im Osten auch ein Westimport. NPD und DVU machten Ostdeutschland nach 1990 zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit, Rechtsintellektuelle entdeckten den Osten als Missionsgebiet, in dem die untergegangene Ideologie durch eine andere ersetzt wurde.

Wie sieht die Lösung für dieses Problem aus? Je weniger Migranten in einer Region wohnen, umso fremdenfeindlicher die Stimmung. „Kontakt verhindert Vorurteile“, lautet die Devise einer Studie der Universität Leipzig. Die Einheimischen müssen also mit Flüchtlingen umgehen. Man darf nicht übereinander, sondern muss miteinander reden.

Aufklärung und objektive Berichterstattung allein werden nicht reichen. Das Gefühl, zu den Verlierern zu gehören, haben viele Ostdeutsche nicht zu Unrecht.

Die Zivilgesellschaft in Sachsen braucht ein wirtschaftliches Fundament.

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!“ (Bertolt Brecht).