Nach dem Urteil gegen Lina E. wegen linksextremistischer Gewalttaten ist es in Leipzig erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, über der Stadt kreisten Hubschrauber, an mehreren Orten im Stadtteil Connewitz brannten Barrikaden.
Schon am Samstagnachmittag hatte es Krawalle gegeben. Bis zum späten Abend wurden fünf Haftbefehle erlassen, den Männern im Alter zwischen 20 und 32 Jahren wird Landfriedensbruch vorgeworfen. Ein Tabu ist das der Gewaltanwendung. Jemandem mit einem Hammer die Schädelknochen zu zertrümmern, weil einem dessen mutmaßliche politische Radikalität missfällt, ist eine für die meisten Menschen abstoßende Vorstellung. Wer einmal in den Genuss eines Selbstverteidigungskurses gekommen ist, weiss, dass es schon einigermaßen schwerfällt, mit der nackten, verhältnismäßig weichen Hand in ein fremdes, verhältnismäßig weiches Gesicht zu schlagen. Es fühlt sich komisch an, es widerstrebt. Doch nicht so in der linksextremen Szene. Das zeigt der Fall Lina E. und der seltsame Applaus für linksextreme Attacken. Gewalt ist offensichtlich okay – wenn sie die „Guten“ verüben und es die Bösen trifft. Es gibt nicht nur eine Ursache hierfür, sondern multiple. Eine davon ist wohl: viele Menschen sind verunsichert, haben Sorgen, ich nenne es Kontrollverlust, wegen Veränderungen, die in der Welt passieren – Stichwort Globalisierung, Digitalisierung, aber auch die Migration, wo sich viele Leute bedroht fühlen, und dann suchen sie sich irgendwelche Sündenböcke bei zunehmenden Frustrationen. Die Anonymität des Internets. Wir wissen, dass die Sprache im Internet viel aggressiver ist, unpersönlicher ist als die Face-to-Face-Interaktion.
Einen weiteren Punkt stellt der Wertewandel dar, die Nachwirkungen dessen von den sogenannten Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu den Selbstverwirklichungswerten. Das missverstehen viele, dass sie sagen, ich möchte mich selbst verwirklichen, ich habe alle Freiheiten, dass sie das verwechseln mit Freizügigkeiten. Krankhaft in unserer Gesellschaft ist nicht zuletzt ein zunehmender Narzissmus. Streng nach dem Motto: „Ich lasse mich nicht einschränken, jetzt komme ich, ich habe Vorrang!“. Diese Phänomene haben über Jahrzehnte vor sich hingeköchelt. Jetzt sind sie da, gar. Es wird nicht reichen, einerseits nur zur Aufklärung aufzurufen und andererseits nach dem starken Staat zu schreien. Wir brauchen auch Geduld. Das Gewaltproblem in unserer Gesellschaft lässt sich nicht von heute auf morgen lösen. Demokratie muss täglich erkämpft werden. Wollen wir etwas ändern, müssen wir jetzt und hier anfangen.