Putins Aufmarsch kam nicht überraschend, im Gegenteil: Vor bald einem Jahr hatte er
ihn schon mal geprobt, an ähnlicher Stelle und in ähnlichem Ausmaß. Mehr noch,
man kann nicht mal sagen, dass Putin in den über 20 Jahren, die er das Land nun
führt, aus seinen Ansichten und Absichten jemals ein großes Geheimnis gemacht
hätte. Es ging ihm immer darum, die Schmach der chaotischen 1990er-Jahre in
Russland nach dem Kollaps der Sowjetunion wettzumachen, verlorene Macht wieder
herzustellen, die ehemaligen Sowjetstaaten fest an Russland zu binden und die
westliche Welt auf Abstand zu halten, allen voran die Truppen der Nato.
Bei allem Respekt: Jeder mag seine Weltsicht haben. Putin hat den Bogen jedoch
überspannt. Er hat die Welt seit Monaten mehrfach belogen, Verträge gebrochen,
Internationales Völkerrecht wird mit Füßen getreten.
Kurzum: Er ist um Tyrannen, Diktator und Verbrecher mutiert. Die Gräueltaten in der
Ukraine lassen keinen anderen Schluss mehr zu.
Diese Sehnsucht nach der alten Stärke und Ordnung, als zwei Großmächte die Welt
unter sich aufteilen konnten, zieht sich von seinen ersten Jahren als russischer
Präsident, seinem Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, dem
Kaukasuskrieg in Georgien 2008, dem Tauziehen um ein neues Raketenabwehrsystem
in Polen über die Besetzung der Krim 2014 bis zu einem langen Essay aus dem
vergangenen Sommer, in dem Putin seine Sicht und Interpretation der russisch-
ukrainischen Beziehungen darlegte.
Früher war es anders … Ja, das stimmt! Die Ukraine mag im Laufe der Geschichte
auch zu Russland gehört haben. Das rechtfertigt aber nicht, einem heute souveränen
Staat und dessen Bevölkerung das Existenzrecht und die Kultur absprechen zu wollen
(vgl. Kriegserklärung). Nein, Geschichte geht weiter! Königsberg ist nicht mehr
deutsch, Südtirol gehört nicht mehr zu Österreich. Dementsprechend ist die Ukraine
heute in keinster Weise russisch.
Deswegen kann es nie ein Rechtfertigungsgrund sein, russische Bevölkerungsgruppen
in anderen Ländern gegen angeblichen Genozid schützen zu müssen: Putins ständige
billige Ausrede für illegale, ja verbrecherische Angriffskriege.
Putins arrogante Haltung kommt zustande, weil er kein Interesse daran hat, die
Situation durch seinen eigenen Willen zu verbessern. Dafür müsste er sich mit sich
selbst intensiv auseinandersetzen – und das ist für Putin offensichtlich eine emotional
belastende Angelegenheit. Das ist gefährlich!
Putin erzählt seine eigene Definition der Geschichte: Nicht er ist der Schlechte,
sondern die NATO ist nicht in der Lage, seine Genialität zu erkennen. Will heißen:
Man nimmt selbst die Plus-Haltung ein und stellt den anderen ins Minus. Das hat den
Vorteil: Man braucht sich nicht mit dem eigenen Anteil an gegenwärtigen und
vergangenen Problemen auseinandersetzen (Christoph Seidenfus, merkur.de,
25.02.2022).
Das Plus-Minus-Modell ist perfekt auf Putin zugeschnitten. Der Diktator hat es nie
verstanden, dass es langfristig für ihn und sein Volk besser wäre, Kooperationen einzugehen, somit auf selber Augenhöhe zu agieren. Putin geht es nicht um wirtschaftliche Aspekte oder um das Wohlwollen der russischen Bevölkerung. Er will Macht und Einfluss. Koste es, was es wolle …

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