Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden von Frankreich abgelöst, was das Feindbild Nummer 1 in der islamistischen Welt angeht. Man muss es ausdrücklich betonen: es geht um Islamismus, nicht um den Islam als Religion. Jenen hat der französische Präsident Macron in seinen Reden auch nicht angegriffen.
Was ist Islamismus? Woher kommt der Hass?
Es handelt sich um keine Ideologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die Wurzeln des Islamismus liegen in der Konfrontation der Muslime mit den europäischen Kolonialmächten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Ägypten eine als Salafiya (bpb.de) bezeichnete islamische Reformbewegung. Mit der Gründung der Muslimbruderschaft in den 1920er Jahren entwickelte sich dann die erste islamistische Massenbewegung. Heute zeigt sich der Islamismus nicht nur in seiner gewalttätigen Ausprägung. Auch legalistische Gruppen trachten danach, einen islamischen Staat zu errichten.
Wer den Islamismus als rein religiöses Phänomen betrachtet, wird seinen Aufstieg nicht wirklich begreifen können. Ein Aufstieg, der durch das Versagen der politischen Eliten ermöglicht und durch anti- koloniales Denken sowie radikal interpretierte Koranverse befeuert wurde.
Die neue Dimension spiegelt sich in der Selbsteinschätzung des IS wider. Kritiker argumentieren zwar, die Organisation sollte nicht „Islamischer Staat“ genannt werden, da sie keinen Staat beherrsche, schon gar keinen „islamischen“. Tatsächlich aber beschreibt der Name das Ausmaß des Phänomens recht treffend. Der IS beruft sich zweifelsohne auf den Islam – wenn auch auf dessen denkbar extremste Form. Er kontrolliert zudem nicht nur riesige Teile beider Länder und hat die von Briten und Franzosen nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen nationalstaatlichen Grenzen de facto aufgelöst, sondern er hat dort ein Gebilde mit quasistaatlichen Strukturen errichtet.
Nach mohammedanischer Überlieferung herrscht ein ständiger Zank zwischen dem „Haus des Islam“ (Dar al-Islam), jenen Regionen, wo die Muslime bereits regieren, und dem „Haus des Krieges“ (Dar al-Harb). Strittig (SPON, 12.09.2001) ist hingegen, ob der Dschihad in jedem Fall eine militärische Intervention bedeutet oder lediglich die Missionierung der „Ungläubigen“.
Der Prophet Mohammed hatte den Dschihad im 7. Jahrhundert (wikipedia.org) ursprünglich ausgerufen, um den jungen islamischen Staat auf der arabischen Halbinsel gegen die heidnischen Beduinen zu festigen. Nur selten entartete danach der Dschihad zum Missionskrieg. Ausgerufen werden kann der Dschihad sowohl von den politischen Herrschern als auch von einem einzelnen Gläubigen. Nahezu einig sind sich die traditionellen Rechtsgelehrten (SPON, a.a.O.) allerdings, dass Selbstmordattentate auf unschuldige Zivilisten nicht zu den Mitteln des Dschihad gehören. Mehr noch: Derlei Anschläge erlaube der Islam überhaupt nicht.
Das sehen fanatische Islamisten allerdings anders. Sie widersprechen den orthodoxen Koraninterpreten und sehen in Selbstmordanschlägen „die höchste Form des Märtyrertums“. Doch während es Selbstmordattentate erst seit den achtziger Jahren gibt, schwelt der Streit zwischen Traditionalisten und Islamisten über die richtige Interpretation des Korans schon über hundert Jahre.