Ohne Rücksicht auf Abstandsregeln, ohne Mundschutz, ohne Rücksicht auf Präzedenzfälle (Viren-Schleudern durch Massenansammlungen), kurz: ohne Verstand, wurde die Tage in Stuttgart und anderswo für eine Freiheit geworben, eine Freiheit ohne Maß, ohne Verantwortung, ohne Folgenabschätzung, ohne Staatsbürgerlichkeit. Diese Freiheit gehört aber nicht zu den Grundrechten. Das ist einfach nur primitiv.

Die Eigenverantwortung, die von den Protestierenden so gerne im Munde geführt wird, ist in Wahrheit eine Ego-Verantwortung (faz.net), ein Widerspruch in sich. Eigenverantwortung hieße, in Betracht zu ziehen, dass das eigene Verhalten dazu führen könnte, andere zu infizieren – und damit in ihrer Freiheit auf dramatische Weise einzuschränken.

Man kann viel lernen in diesen Tagen – über den Föderalismus, über Entscheidungsprozesse in der Politik. Besonders eindrucksvoll fällt der Unterricht in Sachen Freiheit aus. Denn alle Beispiele aus dem täglichen Leben zeigen, was staatliche Eingriffe, die viele Deutsche in Corona-Zeiten zunehmend befürworten, in ihrer Konsequenz bedeuten. Viele denken sicher, das sei unfair. Ist es das? Nein, die Pandemie bedroht uns, wir müssen uns wehren. Das ist mit Einschränkungen verbunden. Manche mögen das als hart empfinden, aber die Regeln sind notwendig.

Man kann momentan ein interessantes Phänomen entdecken: Vor Corona haben nicht wenige nach dem starken Staat geschrien, wollten mehr Regeln, mehr Polizei. Jetzt gehen genau diese auf die Straße und fordern mehr Freiheit. Man werfe einen Blick auf gewisse rechtspopulistische Parteien … Haben unsere Bürger/-innen so wenig Durchhaltevermögen? Offensichtlich …

Manchmal braucht man den Staat wirklich, um sich vor einer Gefahr zu schützen. Aber jede Einmischung in das private Leben hat ihren Preis. 

Für liberale Demokratien sind Krisenzeiten ein Stresstest. Die Ausbreitung des Coronavirus in Europa und Deutschland führt zu Einschränkungen der liberalen Demokratie, die noch vor wenigen Wochen unvorstellbar gewesen wären. Durch Grenzkontrollen und Kontaktverbote ist die Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Die Funktionsfähigkeit der Gerichte, bei denen sich die Bürger/-innen über diese Maßnahmen beschweren können, ist ebenso beeinträchtigt.

Diese Maßnahmen mögen im Wesentlichen notwendig sein, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Eines ist aber sicher: Sie dürfen den liberalen Charakter westlicher und europäischer Demokratien nicht beschädigen!

Der Schutzbereich der Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 und Artikel 104 des Grundgesetzes umfasst gerade nicht die Freiheit von jeglichem staatlichen Druck bzw. Zwang, sondern gewährt lediglich die körperliche Fortbewegungsfreiheit.

Die Politik sollte in diesen Zeiten offen und ehrlich ihre inneren Konflikte und Dilemmata kommunizieren. Bundeskanzlerin Merkel tut gut daran, wenn sie ihre Fernsehansprachen zu den Coronaregelungen fortsetzt. Transparenz in der Krise erhöht für den Souverän die Nachvollziehbarkeit und macht ihn zum Verbündeten (faz.net, 24.03.2020), etwa bei der Durchsetzung von Verhaltensempfehlungen gegen Ansteckungen mit dem Virus.

Da keiner von uns (Virologen und Epidemiologen eingeschlossen) die aktuelle Pandemie umfassend beurteilen kann, beruht diese Akzeptanz nur bedingt auf Vertrauen. Wenn Regierungen sachlich, konsequent, strategisch koordiniert und auf Expertenwissen gestützt kommunizieren, mag das beruhigender wirken als wenn sie sprunghaft und irrational agieren. Letztlich jedoch fahren alle auf Sicht, und man weiß das. Ob die bisherige hohe Akzeptanz der Maßnahmen, die unser Leben und Arbeiten, unsere ökonomische wie soziale Zukunft verändern und einengen, auf Vertrauen oder Angst beruht, kann dahinstehen.

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