Jeder spricht davon, was wissen wir darüber?

Die Süddeutsche bespricht dieser Tage postkoloniale Literatur, Traumtagebücher aus der Zeit vor der Kolonialisierung (sueddeutsche.de, 06.05.2020). Um was geht es hier, in unserer heutigen Zeit?

Was ist Kolonialismus? Die herkömmlichen Definitionen betonen dreierlei:

erstens ein territorial bestimmtes Herrschaftsverhältnis – das unterscheidet Kolonialismus von dem breiteren Begriff des Imperialismus, der auch Formen der informellen Steuerung ohne Ansprüche auf Gebietsherrschaft mit einschließt; zweitens die Fremdherrschaft, die dadurch charakterisiert ist, dass kolonisierende und kolonisierte Gesellschaften unterschiedliche soziale Ordnungen aufweisen und auf eine je eigene Geschichte zurückblicken; drittens schließlich die Vorstellung seitens der Kolonisatoren, dass beide Gesellschaften durch einen unterschiedlichen Entwicklungsstand voneinander getrennt sind (bpb.de, 23.10.2012).

Es gibt den Vorwurf, dass wir das klischeebehaftete Bild der Länder in Asien, dem Nahen Osten oder Afrika gerade nicht beerdigen, sondern wieder aufleben lassen – und damit genau das tun, was Europäer lange getan haben: beherrschen! Es ist nicht mehr das Gewehr oder Panzer, nein, die Mittel sind ganz profan: Sie alle vereinen sich im Kapitalismus.

Als George Bush jr. in den Irak einmarschierte, sagte er, die Iraker müssten in Sachen Demokratie erzogen werden, und daher müsse man die Demokratie exportieren“ (deutschlandfunkkultur.de). Damit meinte er nicht nur, die USA sollten gewisse Institutionen der Demokratie exportieren, wie das Parlament oder den Kongress. Was Bush vertrat war eine Demokratie als Konzept des Westens, die so besonders und wertvoll sei, dass Menschen aus aller Welt sie wertschätzten. Und genau diese Werte würden in den östlichen Kulturen fehlen. Daher müsse man den Menschen dort den Wert der Demokratie beibringen.

Niemand weiß, wie sich die von Europa okkupierten Länder entwickelt hätten, hätten wir nicht versucht, ihnen unsere Werte überzustülpen. Europäische Arroganz! Selbst die Vereinigten Staaten sind im Grunde – zumindest überwiegend – europäisch geprägt.

Mit dem Kolonialismus ging die Zerstörung sozialer, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Werte einher. Man erinnere sich an die Missionare … Wollen Menschen im Osten oder Afrika eigentlich die Demokratie? Oder haben bzw. hätten sie eine andere politische Herrschaftsform gehabt? Wir wissen es nicht.

Die Hauptkritik an der postkolonialen Theorie ist, dass sie zwar anfangs rassistischen Einstellungen zum Beispiel gegenüber dem Orient oder der arabischen Welt kritisch gegenüberstand, aber im Laufe der Zeit viele dieser Ansichten neu belebte und sogar erneuerte. Nehmen wir die Literatur: wie viele Autoren aus ehemaligen Kolonien werden eigentlich berücksichtigt, wenn es um Weltliteratur geht? Wenige, Europäer und US-Amerikaner entscheiden, wie unser Bild von den ehemaligen Kolonien heute ist, ja, wie es zu sein hat …

Den Aspekt der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu erörtern, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Erwähnt seien nur Begriffe wie Billiglohnländer, moderne Sklaverei, Made in China usw.

Die Ausbreitung des Kolonialismus als modernes Phänomen geht auf den Kapitalismus zurück. Die postkolonialistische Theorie behauptet dagegen, dass der Kapitalismus aus dem Kolonialismus entstanden sei. Das Problem mit dieser Ansicht ist nur: Historisch gesehen sind Eroberung und politische Dominanz etwas sehr Übliches. Die moderne Ausbreitung des Imperialismus kommt dagegen mit der britischen Herrschaft (a.a.O.).

Das britische Weltreich ist ein Produkt des kapitalistischen Englands.

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