Die Corona-Krise führt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf völlig unbekanntes Terrain. Der Stillstand des öffentlichen Lebens ist für die lebende Generation ohne Beispiel. Manche deuten ihn als ein großes, beinahe willkommenes globales Experiment der Entschleunigung. Es entstünden neue Chancen für Phantasie und Kreativität, für die Entdeckung anderer Lebensweisen, kurzum und zugespitzt: für den Abschied vom globalen Kapitalismus. Es handelt sich um eine scheinbar plausible Geschichte

Westliche Demokratie und Marktwirtschaft beruhen auf der gleichen Wertebasis, wie sie durch Aufklärung und Französische Revolution für die Selbstermächtigung der Bürger geprägt wurde. Das ordnungspolitische Gebot des starken Staates für die Rahmung der Marktwirtschaft hatte bereits im Jahr 1932 Alexander Rüstow, einer der Väter unseres Wirtschaftsmodells (tagesspiegel.de), beschrieben.

Kultur kommt aus der Gesellschaft, ein zu starker Staat – u.a. Totalitarismus – ist der Sargnagel für jegliche Kulturströmung. Kultur ist Freiheit, sie macht uns Menschen aus.

Im menschlichen Leben spielt deshalb nicht nur die Kontrolle über den eigenen Körper (Friseur) eine Rolle oder die Gestaltung der eigenen Umgebung (Baumarkt). In Kriegen und Lagern, bei Hunger und Kälte waren Lieder, kleine Theaterstücke, geschnitzte Skulpturen schon oft der letzte Widerstand gegen die Entmenschlichung (sueddeutsche.de). Je weniger sich der Mensch als selbstbestimmtes, denkendes, sinnliches Wesen erfährt, umso wichtiger ist die Erinnerung daran, dass er es einmal war.

Wenn Menschen in Italien über Balkone hinweg musizieren, wenn die globale Bachfamilie online gemeinsam singt, wenn die Uffizien virtuell überrannt werden, dann sind dies Techniken kultureller Selbstermächtigung in neuer digitaler Ausprägung. Aber eine Grafikkarte kann keinen Ersatz für einen echten Tizian bieten, die beste Konferenz-Software ein Livekonzert nicht ersetzen.

Seit Wochen beraten die Kulturinstitutionen, wie man das Angebot an die Erfordernisse anpassen können. Die wirtschaftliche Bedrohung für Deutschlands Kulturlandschaft ist nicht gebannt. Dass viele Künstler und Institutionen auf der Strecke bleiben, ist schlimm genug. Aber wenn die Kultur zum Accessoire degradiert wird, dem man sich zuwendet, wenn alles andere geregelt ist, dürfte ihr Schicksal besiegelt sein.

Generell hebt die Corona-Krise die Digitalität unserer Gesellschaft auf eine ganz neue Ebene. Homeoffice, Videokonferenzen, Museum online – von heute auf morgen mussten viele auf ein nicht gekanntes Ausmaß an digitaler Kommunikation umsteigen. 

Der aktuelle Moment macht uns deutlich, welch großer Schatz die Kulturlandschaft ist und wie privilegiert wir bis jetzt waren, daran nach Belieben teilzuhaben. Des Weiteren erkennen wir, dass dieses Privileg nicht selbstverständlich ist. Kunst und Kultur sind gerade in Krisenzeiten ein wesentliches Element der mentalen Auseinandersetzung und emotionalen Verarbeitung. Der – hoffentlich – vorübergehende Verzicht fällt uns momentan besonders schwer, erst recht, da er für die meisten Menschen mit einem hohen Grad an menschlicher Isolation einhergeht.

Aber Kultur ist auch kreativ: Zahlreiche Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler haben bereits digitale Alternativen entwickelt. Wir können daher zumindest virtuell, zum Teil per Livestream und größtenteils kostenfrei, an Konzerten, Lesungen, Opernaufführungen, Ausstellungen oder Diskussionsveranstaltungen teilnehmen.

Hierbei entstehen aus der Not heraus neue Formate, bereits bestehende digitale Vermittlungswege bekommen die neue Aufmerksamkeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert